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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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lang komme. Sie ließ am Morgen ihre zwei Töchter Garn sieden, damit sie dem Viktor – nichts beichteten, wenigstens keine Wahrheit; denn es ist ein bekannter Aberglaube, daß das Garn am weißesten gesotten werde, wenn man dabei recht lügt. Daher sollte man auch, wenn die Weiber lügen, behutsamer sein und fragen, ob sie mit ihren poetischen Täuschungen etwas anderes weißbrennen wollen als Garn. Ihr geliebter Viktor sollte – das war ihr Plan – ihrem Manne, dessen Wiegenfest heute auch einfiel, den gewöhnlichen Glückwunsch bringen und ihn nachher halbieren und dem Lord hinlangen müssen, der mit seinem eignen Geburttag ausstieg.
    Betrügen wollte zweitens Sebastian und sie den alten Kaplan, der vergessen, daß er geboren worden – welches ihm schon bei seinem ersten Geburttage begegnet war. Die Menschen behalten einen fremden Lebenslauf besser als den eignen: wahrhaftig, wir achten eine Geschichte, die einmal die unsrige war, und welche die Hülse der verflognen Stunden ist, viel zu wenig, und doch werden die Zeittropfen, durch die wir schwimmen, erst in der Ferne der Erinnerung zum Regenbogen des Genusses. Die Männer wissen, wenn alle Kaiser geboren und alle Philosophen gestorben sind – die Weiber wissen aus der Chronologie bloß das, wenn ihre Männer, die ihre Regenten und klassischen Autoren sind, beides taten. Viktor, dessen feines Gefühl von zu großen Aufmerksamkeiten für ihn versehret wurde, war froh, daß Eymanns Schultern die Hälfte der heutigen Ehre tragen mußten.
    Betrügen wollte drittens der Pfarrherr so gut als einer, und zwar jeden. Da für ihn dieser Festtag – wie die drei hohen Feste der Klöster – zugleich Rasiertag war, an welchem die gescheitsten Köpfe die dümmsten Gesichter machen: so schnitt der Barbier mit der Rasier-Lanzette in des Seelensorgers Haut wie in eine Birkenrinde sein Andenken; aber dieses wenige Blut, das ausquoll, führte dem Pfarrer einen klügern Gedanken zu als das, was der Bader darin ließ, welches doch den Nervensaft absonderte, der nach den seichtesten Denkern die Gelenkschmiere unsrer geistigen Bewegungen, die Goldauflösung unsrer reichhaltigsten Ideen und der Geist unsers Geistes ist. Dieser klügere Gedanke, den ich so lobe, war der, sich auf dem linken Arm zur Ader zu lassen – es dem ganzen Hause zu verhalten – abends dem Lord Glück zu wünschen und jedem – und am Ende den Ärmel auszuziehen und die Wunde zu zeigen, wie ein Römer, und zu sagen: gratuliert doch zur Aderlaß! – Er setzte es durch, und der Scherer mußte staunend etwas anderes zerhacken als das Kinn. Der Blessierte gab ihm das Geleite bis an die Hoftüre, nicht sowohl aus Höflichkeit, als damit ers nicht der ganzen Hausgenossenschaft vortrüge, sondern den Vorfall überhaupt bei sich behielte, ausgenommen in Häusern, wo ein Bart war und ein Ohr. Denn ein Geschichtschreiber sei immerhin der Monatzeiger der Zeit – und folglich sei der Zeitungsetzer der Stundenzeiger derselben – mithin ein Weib ihr Sekundenzeiger : so ist doch der Bartputzer beides, das Weib und der Sekundenzeiger .
    Als Flamin und Viktor hinuntergingen ins Wohn-, Putz-, Sommer- und Winterzimmer, stach unter lauter frohen Gesichtern ein verdrießliches vor, das dem wie besessen umhersetzenden Pfarrer gehörte: er konnte zweierlei unmöglich ausspüren, seine Bibel und seine Puderquaste. Drei Minuten vorher hatt’ er so gejammert: »Bin ich und mein elendes Leben denn zu einer wahren Passionhistorie ausersehen? Man gebe mir einen Glücktopf, aus dem jeder andere ganze Königreiche herauskrebsen würde – sobald mich der böse Feind nahe merkt, so legt er seinen Unrat hinein; und diesen heb’ ich dann statt der Krebse und Königreiche heraus, und weiter nichts. – Es wär’ heute hübsch geworden, sah der Teufel – wir hätten bis abends um vier Uhr keine Lust gehabt, sondern Hundearbeit – dann wär’s losgegangen, das Essen im Gartenhaus, das Gratulieren und Salutieren und wahrer Spaß…. Euch ist er auch noch beschert; mir aber schenkt nur, wenn der Püster und die Bibel nicht erscheinen, etwas Ruß und Asche (die etwa vom Abendschmause nachbleiben), damit ich damit dem Fuchs (Pferd) das Gebiß abbürste – und abends kann ich neben dem Gartenhause den Rettich ausjäten.«
    Hier mußte er mit der niedergelassenen Flagge seines Kopfes, mit der Trottelmütze, den eintretenden Briten salutieren – als dadurch aus der Mütze ein Haar-Büschel ausfiel, der zwar nicht die gesuchte Bibel, aber

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