Saemtliche Werke von Jean Paul
und sagte zur zerschmolzenen Seele: »Wir waren sonst beisammen.« – O, dieser ewig geliebte Geist, der schon damals in unserem Viktor die Flügel sah, die sich nach der andern Welt aufrichten, der schon damals mehr der Freund als der Lehrmeister seines so weichen, so wogenden, so liebevollen, so ahnungvollen Herzens war, dieser unvergeßliche Geist wollte nicht weichen, seine Gestalt schlug den Leichenschleier zurück, fing an zu glänzen und an zu reden: »Horion, mein Horion, warst du nicht an meiner Hand, warst du nicht an meinem Herzen? Aber es ist lange, daß wir uns geliebt haben, und meine Stimme ist dir nicht mehr kenntlich, kaum noch mein Angesicht – ach die Zeiten der Liebe rollen nicht zurück, sondern ewig weiter hinab.« Er lehnte sich an einen Baum und trocknete unaufhörlich das Auge, das den Weg nicht mehr fand, und seine Blicke ruhten fest an den Wäldern, die nach St. Lüne gehen, und an den neblichten Bergen, die sich vor Maienthal und vor seinem zweiten Lehrer stellen…
– Kussewitz sprang vor.
Aber zu bald; seine bewegte Seele wollte noch nicht unter fremde Menschen. Es war ihm lieb, daß er an eine umgestürzte Rinne stieß, aus welcher Schafe Salz lecken, und an einen Zaun, der sie zu nachts behütet, und an die Hütte auf zwei Rädern, worin ihr Wärter schläft. Er hatte eine eigne Neugierde und Vorliebe für kleine Nachbilder der Häuser; er trat in oder an jede Köhlerhütte, in jede Jäger- und Vogelhütte, um sich mit seiner eignen Einschränkung und mit den Parodien unsers kleinen Lebens und mit dem Erdgeschoß der Armut zu betrüben und zu erfreuen. Er ging vor nichts Kleinem blind vorbei, worüber der Welt- und Geschäftmann verschmähend schreitet; so wie er wieder vor keinem Pomp des bürgerlichen Lebens stehen blieb. Er machte also ein Türchen am Fahr-Bette des Schäfers auf: es sah darin so armselig aus, und das Stroh, das Eiderdunen und Seidensäcke ersetzte, war so niedrig und zerknüllt, daß er sich unbeschreiblich hineinsehnte; er brauchte jetzt eine Täucherglocke, die ihn aus dem treibenden, drückenden, erhabnen Meere um ihn absonderte. Ich wollt’, man könnt’ es den europäischen Kabinetten, dem Reichstag und dem Prinzipalkommissarius verbergen, daß er sich wirklich hineinlegte. Hier aber ging die Anspannung seiner Sinne, in welche die Bett-Pforte nur einen kleinen Ausschnitt vom Himmelblau einließ, bald in die Erschlaffung des Schlummers zurück, und über das heiße Auge sank das Augenlid.
10. Hundpostta g
Zeidler – Oszillieren Zeusels – Ankunft der Prinzessin
Seit einem Posttage schläft der Held. Die deutschen Rezensoren sollten mir den Gefallen tun, ihn aufzuschreien. – –
Aber Schelme sind sie, diese Nachrichter und Maskopeibrüder der Zensoren; sie wecken weder Leser noch Fürsten, nur homerische Schläfer auf. Die Sonne steht schon tief und guckt gerade waagrecht in sein Doktor Grahams-Bette, und er glüht noch von ihr…
– Das Schafvieh mußt’ es tun durch Blöken und Glocken. Als in seine aufgehenden Ohren die Turmglocke aus Großkussewitz, unter Begleitung der Schafglocken, mit einem in Musik gesetzten Abendgebet eindrang – als in seine aufgehenden Augen der rote Schattenriß der vergangnen Sonne, die seine heutigen Paradiese beschienen hatte, und das Abendrot einfiel, dessen Goldblättchen der Abendwind den Wolken anhauchte – als die wie sein Blumenstrauß betaute Luft seine Brust erfrischte: so war der heutige schwüle Nachmittag um eine ganze Woche zurückgerollet; Viktor war in eine neue selige Insel herabgefallen; neugeboren und froh kroch er rückwärts aus seiner fahrenden Habe. »O ich tolles Ich!« sagt’ er – »ich freue mich aber nicht außerordentlich darüber, daß ein halbes Lot Schlafkörner eine ganze glühende Welt im Menschen wegbeizen kann, ganz weg – und daß das Umlegen des Körpers der Erdfall seines Paradieses und seiner Hölle wird.«
Auf der Landstraße sprangen zwei Sänftenträger in kurzem Galopp zwischen den Tragestangen ihres ledernen Würfels dahin. Er setzte ihnen nach – ihre Last, dacht’ er, muß ihnen noch viel leichter sein als ein ganzes Land und dessen Zepter, die beide gleichwohl ein Regent, wie ein Gaukler den Degen, tanzend zu tragen versteht auf der Nase, auf den Zähnen, auf allem. Sie trugen aber das schwerste Ding in der Welt, worunter oft Städte und Thronen und Weltteile einbrachen.
»Womit setzt ihr so herum?« fragt’ er. – »Mit unserem allergnädigsten
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