Saemtliche Werke von Jean Paul
Verzücken« hinriß. Es war eines Abends am Fenster, als die Entzückungen der ersten spannenden Lektüre ihn trafen. Schillers »Geisterseher« wiederholte später nur die halbe Wirkung«, und ein zweiter Roman, »Veit Rosenstock« von Otto, »vom Vater gelesen und verboten«, wiederholte ebenfalls nur »die Hälfte jener Begeisterung«. »Nur als Plagiator und Bücherdieb genoß er ihn aus der väterlichen Studierstube, solange bis der Vater wiederkam – einmal las er ihn unter einer Wochenpredigt des Vaters in einer leeren Empore auf dem Bauche liegend.«
Das für ihn einschneidendste Begebnis aber war die Bekanntschaft mit dem Kaplan Völkel, der von den Talenten des Knaben so eingenommen war, daß er auf seine Mittagsruhe verzichtete, um sich zwei Stunden nach dem Essen einem freiwillig erteilten Unterricht in Philosophie und Geographie zu widmen. Zum erstenmal wurde Jean Paul in diesen Stunden von der »Aufklärung« genannten Bewegung berührt, in deren Gedankengängen er sich anderthalb Jahrzehnte bewegen sollte. Gottscheds Werk »Erste Gründe der gesamten Weltweisheit« erquickte ihn »bei aller Trockenheit und Leerheit doch wie frisches Wasser durch die Neuheit«. Völkel vermittelte ihm die erste Bekanntschaft mit der rationalistischen Theologie, die sich in Gottesbeweisen und einem verstandesmäßigen Begutachten von Gottes Schöpfung und Plänen erging. Das in kausalen Zusammenhang gebrachte und systematisch durchgedachte Weltgebäude mußte auf den Knaben einen unendlichen Eindruck machen. Äußere Einwirkung und innere Anlage begegneten sich hier. »Die Schwärmerei«, schreibt Jean Paul einmal in einem späteren Tagebuch, »ist im männlichen Alter am schönsten, in das sie gewöhnlich bei phantasiereichen Köpfen fällt, wenn sie in der Jugend systematisierten.« Der ganze Überschwang Jean Pauls wandte sich in der Tat während seiner Jugend und Jünglingszeit allem Systematischen zu und verschloß sich jedem Schwärmen. Er begann als ein Fanatiker systematischen Denkens, und dieser Umstand war es auch, der ihn fragen ließ, ob er zum Dichter oder zum Philosophen geboren. Es war wohl persönliche Anlage, die ihm erst spät den Sinn für die Fülle des Gegebenen erschloß und die Schwungfedern seiner Seele löste. Aber diese Anlage fiel mit der Entwicklung der Zeit zusammen, die aus der nüchternen Starrheit des Rationalismus zur Schwärmerei der Sturm- und Drangperiode sich entwickelte, und eine Entwicklung, die von einer ganzen Periode getragen wird, ist in jedem Fall mehr als ein anormaler Einzelfall, ist Ausdruck eines notwendigen Vorwärtsschreitens von der Erkenntnis zum Leben. Gerade in Jean Paul sehen wir das Ringen jener Zeitenwende um seinen Ausdruck. Anderthalb Jahrzehnte drehte er sich in dem Käfig rationalistischen Denkens, von dessen Ungenüge schon dunkel bewegt, bis in der »Unsichtbaren Loge« der selige Übertritt erfolgte. Er selber mußte noch einmal an sich die Begrenztheiten der Vernunft schmerzvoll durchkosten. Dazu riß er die Welt der Aufklärung in sich hinein, um auf ihren letzten Grund zu kommen. Es war derselbe Weg von der reinen zur praktischen Vernunft, den Kant zurücklegte. Und wie ihn der Ostpreuße Gottsched in diese Welt hineinführte, so erlöste ihn der Ostpreuße Herder daraus, der große Entfeßler der Seele. Von den Randgebieten der Aufklärung kam ihr die äußerste Zuspitzung und die Überwindung.
Unter der Anleitung des Kaplans Völkel lernte Jean Paul sich in den Gedankensystemen der rationalistischen Theologie bewegen. »Er gab mir nämlich den Beweis ohne Bibel zu führen auf, z. B. daß ein Gott sei oder eine Vorsehung usw. Dazu erhielt ich ein Oktavblättchen, worauf nur mit unausgeschriebenen Sätzen, ja mit einzelnen Worten, durch Gedankenstriche auseinandergehalten, die Beweise und Andeutungen aus Nösselt und Jerusalem oder andern standen. Diese verzifferten Andeutungen wurden mir erklärt, und aus diesem Blatt entfalteten sich, wie nach Goethens botanischem Glauben, meine Blätter. Mit Wärme fing ich jeden Aufsatz an, mit Lohe hört ich auf.« Schon hier begann das seltsame Schauspiel, das noch seine ersten Bücher der Welt geben sollten, wie ein Feuergeist seine Inbrunst in nüchternen Antithesen und Witzspielereien auszugeben versuchte, bis ihm die Unzulänglichkeit des Beweises und geistreichen Witzes sich dartat und der Weg zum Gefühl, eine neue Eroberung des Menschengeistes, sich groß und weit ihm auftat.
So sehr ihn der Unterricht
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