Saemtliche Werke von Jean Paul
weil der Großvater nach dem Verkaufen um sieben Uhr aß und alles beisammen sein mußte. Nach dem Essen aber ging es noch einmal hinaus, wo die Janitscharenmusik durch die Straßen zog. Unvergeßlich blieb dem Dorfkind dieser erste Eindruck von Trommeln, Querpfeifen und Janitscharenbecken. »In mir, der ich unaufhörlich nach Tönen lechzte, entstand ordentlich ein Tonrausch… Am meisten griffen die Querpfeifen in mich ein durch melodischen Gang in der Höhe… So klang mir bei der russischen Feldmusik das hohe scharfe Dareinpfeifen der kleinen Pfeifchen fast fürchterlich, als eine zum Schlachten rufende Bothmäuspfeife, ja als ein grausames Früh-Tedeum für künftiges Blutlassen.« –
Die Sommerfreuden gipfelten im Herbst. »Ein phantastischer Mensch… genießt im Herbste neben diesem selber noch voraus den Winter mit seiner Häuslichkeit und den Frühling mit seinen poetischen Fernmalereien.« Mochte der Knabe selig im Freien schweifen, er strebte doch immer wieder in umfriedetes Gehege, um aus diesem sich desto feuriger hinauszusehnen. Er hatte und behielt eine Vorliebe zum »Häuslichen, zum Stilleben, zum geistigen Nestmachen. Er ist ein häusliches Schaltier, das sich recht behaglich in die engsten Windungen des Gehäuses zurückschiebt und verliebt, nur daß es jedesmal die Schneckenschale weit offen haben will.« Er selber spricht von einem närrischen Bunde zwischen Fernsuchen und Nahesuchen. Wenn er in den großen Taubenschlag auf dem Dache hineinstieg, so war er in diesem Zimmer voll Zimmerchen oder Taubenhöhlen ordentlich wie zu Hause. Er baute ein kleines Fliegenhaus, und wenn er die unzähligen Fliegen in diesem weiten Lustschloß treppauf, treppnieder in alle großen Zimmer und dann gar in die niedlichen Erkerchen laufen sah: so machte er sich eine Vorstellung von ihrer häuslichen Glückseligkeit und wünschte selber darin an den Fenstern mitzulaufen. »Aber auch als Schriftsteller hat er später diesen Haus- und Winkelsinn fortbehalten, in Wutz und Fixlein und Fibel; und noch sieht der Mann voll Sehnsucht jedes nette niedrige Schieferhäuschen von zwei Stockwerkchen mit Blumen vor den Fenstern und einem Hausgärtchen, das man bloß vom Fenster heraus besprengt.« Es war das Fränkische in ihm, was sich in dieser Vorliebe bemerkbar machte. Derselbe Geist, der die Erker und traulichen Winkel aus den Fachwerkhäusern vortrieb und der uns heute noch ans Biedermeier bindet. Aber weder Jean Pauls noch unser Geist erschöpft sich in diesem Hang zur traulichen Geborgenheit. »Denn«, so fährt der Selbstbiograph fort, »nur das enge Menschliche kann ihm nicht klein genug, aber die große Natur nicht zu ausgedehnt sein.« Ein Wink zur Beurteilung seiner idyllischen Dichtungen, in denen so gern das »eigentlich« Jean Paulische gesehen wird. Neben dem engen Menschlichen stand ihm immer die Größe der Welt, von der wiederum der schweifende Menschengeist ein Teil ist und seine eigenen gigantischen Maße hat.
Man kann denken, mit welcher Eindrucksfähigkeit der reizbare Knabe die Boten des Herbstes aufnahm: »das erste Dreschen, die lauten Krähenzüge in die Wälder, der Zugvögel Schreien oder Blasen zu, Aufbruch«. Er beobachtet, daß im Herbst die schreienden Gänse in Herden gehen. Er holt mit Vater und Bruder die Kartoffeln von einem Acker über der Saale und erklettert an dem Haselnußgebüsche die besten Nüsse. Der dickzweigige Muskatellerbirnbaum im Pfarrhofe, dessen herbstliche Fruchtgehänge die Kinder schon lange herunterzuschütteln suchten als künstliches Fallobst, wird vom Vater endlich abgeobstet, und – die herrlichste Vorbereitung! – für das nahende Weihnachtsfest wird am Andreasabend eine kleine abgehauene Birke, noch blühend und grünend, vom alten Holzhauer in die Stube geschleppt und in einen weiten Topf mit Wasser und Kalk gepflanzt, damit sie gerade zur Weihnachtszeit, wenn goldene Früchte an sie gehangen werden, die rechten grünen Blätter trüge. Dort steht sie nun den dunklen Dezember über, und jedes neue Blättchen, das sie ausstreckt, ist ein Uhrzeiger des nahenden Festes.
Das Weihnachtsfest selbst hingegen, dem soviel Vorfreude sich entgegenreckte, blieb für Fritz mit einem Flor von Wehmut behangen. Am Vorabend gingen die Kinder mit hochgespannten Erwartungen schlafen. Am frühen Morgen wurde der Baum geschmückt und die Gaben ausgebreitet, und wenn die Kinder, noch im Morgengrauen, herunterkamen, fanden sie Lichterglanz und Geschenke. Der Knabe unterdrückte
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