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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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den aufsteigenden Seufzer der Trauer, weil er fühlte, daß er sich vor der Mutter »im höchsten Grade freudig zeigen« müsse. Und auch der Vater kam »an dem Christmorgen wie mit einem Trauerflor bedeckt aus seiner Stube in die lustige leuchtende Wohn- und Gesindestube herab«, beteiligte sich auch nicht an den Vorbereitungen des Festes, für das Fritz nun wieder der Hauptregisseur gewesen war. –
    Neben diesen Idyllen der Jahreszeiten ging der graue Alltag mit Darben und Auswendiglernen her. Wohl nie wurden wie bei Jean Paul einem wissenshungrigen Knaben Steine statt Brot geboten. Für seine Übersetzungen ins Lateinische fand er keinen Korrektor, und die Gespräche in Langens Grammatik, die er von vorne nach hinten und umgekehrt auswendig kannte, »weissagt’ ich mir deutsch aus Sehnsucht ihres Inhalts«. In einer lateinisch geschriebenen Grammatik der griechischen Sprache studierte er durstig und hungrig das Alphabet. Von Geschichte oder Naturgeschichte, Rechtschreibung oder Rechnen lernte er in Joditz kein Wort. Außer einem orbis pictus und einem »Gespräche der Toten« betitelten Buch erhielt er, bei allem angestrengtesten Lernen, keine andere geistige Nahrung als etwa die »Baireuther Zeitung«, die der Vater monatlich oder vierteljährlich von seiner Patronatsherrin, der Baronin Plotho, geschenkt erhielt. Dennoch wußte der Knabe aus ihr viel zu berichten, und wenn ein neuer Zeitungsband von ihm verschlungen war, trug er seine veralteten Neuigkeiten ins Joditzer Schloß zu der alten Frau von Reitzenstein und hielt ihr Vortrag über das Gelesene rein aus dem Gedächtnis, ohne ein Wort von den Welthändeln zu verstehen.
    Wie er es später sein Schulmeisterlein Wuz machen ließ, so verfertigte er sich damals selber eine eigene Bibliothek von lauter eigenen Sedezwerkchen, die er aus Papierabschnitzeln des Vaters zurechtschnitt. »Der Inhalt war theologisch und protestantisch und bestand jedesmal aus einer aus Luthers Bibel abgeschriebenen kleinen Erklärnote unter einem Verse.« So zimmerte er sich aus zufälligen Funden seine eigene gelehrte Welt zurecht, und nur eine Kunst erschloß sich ihm unmittelbar, und ihr wurde seine ganze Seele aufgetan: die Musik. »Wenn der Schulmeister die Kirchenbesucher mit Finalkadenzen heimorgelte: so lachte und hüpfte mein ganzes kleines gehobenes Wesen wie in einen Frühling hinein; oder wenn gar am Morgen nach den Nachttänzen der Kirchweihe, welchen mein Vater am nächsten Sonntage lauter donnernde Bannstrahlen nachschickte, zu seinem Leidwesen die fremden Musikanten samt den gebänderten Bauerpurschen unseres Pfarrhofes mit Schalmeien und Geigen vorüberzogen: so stieg ich auf die Pfarrhofmauer, und eine helle Jubelwelt durchklang meine noch enge Brust, und Frühlinge der Lust spielten darin mit Frühlingen, und an des Vaters Predigten dacht’ ich mit keiner Silbe. Stunden widmete ich auf einem alten verstimmten Klavier, dessen Stimmhammer und Stimmeister nur das Wetter war, dem Abtrommeln meiner Phantasien, welche gewiß freier waren als irgend kühne in ganz Europa, schon darum, weil ich keine Note kannte und keinen Griff und gar nichts; denn mein so klavierfertiger Vater wies mir keine Taste und Note.«
    Man kann fragen, weshalb der Vater an einen Sohn, auf dessen außerordentliche Begabung er stolz war, so wenig Mühe wandte. Jean Paul sagt entschuldigend, es wären »Fehler des Kopfes, nicht des Willens« gewesen. Aber den Hauptgrund bildete wohl die innere Gebrochenheit des Mannes durch Not und Sorgen. Wenn man ihn wochüber seine Sonntagspredigten auswendig lernen sieht, ihn, der wenige Jahre vorher noch durch seine Predigten in Baireuth und Hof Aufsehen erregt hatte, so kann man den armen Mann nicht verdammen, sondern nur bemitleiden. Er hatte nicht mehr die innere Kraft, seine Söhne anzuregen und ihren Bildungsgang nennenswert zu überwachen. Kaum daß er ihnen Grammatiken und Wörterbücher zum Auswendiglernen zu reichen und das Gelernte mechanisch abzuhören vermochte. Als Fritz ihm die Liebesgeschichte der Roxane erzählt, die er in seiner Abwesenheit in dem verbotenen Bücherschrank gefunden und gelesen, läßt er es stillschweigend hingehen. Welche Gedanken mochten in dem vorzeitig gealterten Manne vor sich gehen, wenn er im Pfarrgarten an seinen Predigten arbeitete und neben ihm die Söhne ihre grammatischen Regeln auswendig lernten? Es war kaum mehr als ein stumpfes Wohlbehagen an Wärme und Sonne, dem er sich, ohne Aussicht auf bessere Zeiten,

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