Saemtliche Werke von Jean Paul
hinter dem Verbrauch an Büchern stand ein nicht mehr zu zügelnder Drang nach Erkenntnis. Die ganze Welt der Aufklärung hatte er noch einmal bis in ihre Tiefen auszukosten, um sie dann zu überwinden. Wenn ihn noch eben bei seiner kirchlichen Einsegnung das Mysterium des Glaubens erschüttert hatte, so brannten ihm jetzt die Zweifel an der kirchlichen Heilslehre in der Seele. Ein lückenloses System von kausaler Geschlossenheit mußte er sich aufbauen, um Grund in der Welt und in sich zu finden. Von dem mystisch veranlagten Rektor Werner und dem orthodoxen Vater wandte er sich in seinen Zweifeln zu den heterodoxen jungen Theologen Vogel und Völkel, und beide nahmen den so viel jüngeren in ihren Bund auf, weil sie, ein unvergänglicher Ruhmestitel für sie, als erste den Genius Jean Pauls auch in seiner Knabengestalt erkannten.
Inzwischen war Jean Paul sechzehn Jahre alt geworden. Am Tage nach seinem Geburtstag hielt er den eben geborenen Sohn des Rektors Werner über die Taufe. Die Geburt des Kindes hatte der Mutter das Leben gekostet. So traten dem Jüngling Geburt und Tod in unmittelbarer Nachbarschaft entgegen. Ein Nachhall dieser Taufe findet sich noch im »Quintus Fixlein«, wie alle Erschütterungen seiner Kinder- und Knabenzeit lebenslang in ihm und seinen Werken fortwirkten.
Zur selben Zeit entschloß sich der Vater endlich, ihn auf das Gymnasium nach Hof zu geben, damit er sich für das Studium der Theologie vorbereite. Zu Ostern 1779 kam er in die Stadt, die der Traum seiner Kindheit gewesen war.
Gymnasiast und Studen t
Fritz glaubte die Aufnahmeprüfung schlecht bestanden zu haben. Die regellose Art des bisher genossenen Unterrichts hätte einen einigermaßen kläglichen Ausfall der Aufnahmeprüfung in ein richtiges Gymnasium nicht weiter verwunderlich erscheinen lassen. Aber zu seiner und des Vaters Überraschung war der Rektor Kirsch über das ungewöhnliche Wissen des Knaben erstaunt und wollte ihn sogleich in die oberste Klasse aufnehmen. Der Vater aber setzte es durch, daß Fritz nur auf die mittlere Prima aufgenommen wurde, hier allerdings nicht, wie bei Neuaufgenommenen üblich, den letzten Platz, sondern einen besseren erhielt.
Christian Otto, Jean Pauls späterer Freund, der mit ihm gleichzeitig das Hofer Gymnasium besuchte, gibt von den Lehrern, deren Unterricht Jean Paul nun zwei Jahre zu genießen hatte, keine sehr einnehmende Schilderung: »Keiner der beiden Männer, welche die Primaner unterrichteten, hatte das großartige Talent, reinen wissenschaftlichen Eifer und Dankbarkeit in den Schülern zu erwecken. Ihre ärmliche Besoldung war wohl vornehmlich daran schuld.« Das armselige Los der Theologen und Schulmänner im Fürstentum Baireuth drückte den gesamten Stand und seine Arbeitsfreudigkeit auf eine kümmerliche Stufe herab, und die Männer, die Zeit ihres Lebens bitterste Not litten und durch den ständigen Anblick ihrer darbenden Familie niedergedrückt waren, hatten in den seltensten Fällen noch Kraft genug, erzieherisch und wissenschaftlich auf ihre Schüler einzuwirken. »Der erste und bedeutendste«, schreibt Otto, »war der Rektor Kirsch, der andere der Konrektor Rennebaum. Keiner von beiden hatte Lehrtalent und besonders Liebe zur Jugend.« Kirsch beschäftigte sich mit Vorliebe mit den orientalischen Sprachen. Seine Kenntnisse, obwohl sie dem Knaben selber bald oberflächlich erschienen, waren nicht ohne Umfang. Er langweilte seine Schüler nicht mit Wiederholungen, sondern eilte wie im Fluge vorwärts, »so wie auch die alten Autoren unter seiner Leitung meistenteils kursorisch gelesen wurden«. Jean Paul war vorzüglich im Anfang mehr auf den Unterricht des Konrektors Rennebaum angewiesen, der wohl für einen Schüler von seiner Begabung noch ungeeigneter war. Rennebaum ging langsam und zögernd vorwärts und konnte dem kleinen Fritz Richter, der schon manches gelesen und gedacht, was nicht nur seinen Mitschülern, sondern auch seinen Lehrern noch ganz fremd war, nichts darreichen als unerträgliche Langeweile. Erst als Student entdeckte Jean Paul für sich die Welt der lateinischen Klassiker, die ihm der schlechte Unterricht auf der Schule verleidet hatte.
Das grellste Licht auf die Hofer Schulverhältnisse wirft aber Ottos Beschreibung des französischen Unterrichts. Diesen erteilte ein ärmlich besoldeter ehemaliger Tapetenwirker, der das Französische unrichtig aussprach und fehlerhaft schrieb. Für Lehrer wie Schüler war nur ein einziges französisches
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