Saemtliche Werke von Jean Paul
Versuchen, Verleger zu gewinnen, war vorüber. Jeden Mittag mahnte die Speisewirtin: »Nun, Herr Richter, ist denn das Goldschiff noch nicht angekommen?« Aber es kam kein Goldschiff, ja, es war nicht einmal eines zu erwarten. Das Abendbrot bestand aus einem Buch, etwas trockenem Brot und getrockneten Pflaumen. Er verzehrte es im Spazierengehen und stierte gierig in die mit elegantem Leben erfüllten Kuchengärten hinein, von denen er ausgeschlossen war. Jeden Tag deutlicher wurde ihm der Kredit aufgesagt. Seine Lage war verzweifelt. Er konnte nicht in Leipzig bleiben, weil er kein Geld hatte. Er konnte aber auch nicht nach Hof fahren, um am Tisch der Mutter wenigstens Obdach und Nahrung zu finden, weil seine Schulden ihn hielten.
Wie ein drohendes Gespenst standen die Schulden vor seinem Auge. Schon sah er sich mit Gefängnis bedroht. In dieser Lage ergriff er den einzigen Ausweg, der ihm blieb: die Flucht. Das Geld zur Abreise sollten ihm die kleinen, von Meißner angenommenen Arbeiten verschaffen. Am 19. Oktober bat er den Herausgeber um ein möglichst hohes Honorar. »Ich bin arm; und bin es jetzt, da mir so viele unreife Hoffnungen zugrunde gegangen, mehr als jemals und als vermutlich künftighin… . Ich will Leipzig etwa in acht Tagen verlassen; ich darf hoffen, Sie tragen dazu bei, daß ich es kann.« Etwa drei Wochen darauf wurde der Plan ausgeführt.
Mit Recht konnte er annehmen, daß sich sein Hauswirt seiner Abreise widersetzen und auch den Speisewirt benachrichtigen würde, wenn er von seiner Abreise das geringste ahnte. Oerthel mußte vorsichtig in der Dämmerung den Koffer aus dem Hause tragen. Er selbst machte sich durch einen angehängten Zopf und einen Hut, den er sonst nie trug, nach Möglichkeit unkenntlich. Es herrschte bereits eine ziemliche Kälte. Oerthel hatte ihm seinen Mantel zu der beschwerlichen Fahrt geborgt. Mit hochgeschlagenem Kragen schlich er sich durch die Straßen, immer voll Angst, einem seiner Gläubiger zu begegnen. Vor dem Tore auf der Landstraße wartete Oerthel mit dem Koffer auf ihn. Hier ließ er sich von dem vorüberfahrenden Postwagen aufnehmen und reiste, für alle Fälle unter dem Namen des Freundes Hermann, der Heimat zu, dem verhaßten und nun doch einzig möglichen Asyl.
Am 16. November 1784, ungefähr ein Jahr nach dem Bruch mit Sophie, traf er in Hof ein. Trotz des von Oerthel geborgten Mantels hatte er sich auf der Reise die Hand angefroren. Nur einen flüchtigen Blick warf er in die kleine Wohnung, in der er künftig mit seiner Familie hausen sollte. Schon am nächsten Tag eilte er nach Töpen, dem Gute des Kammerrats, um Grüße von Adam zu bestellen. Dann erst richtete er sich bei der Mutter ein.
Das Haus in der Klostergasse war im Sommer verkauft worden, und Richters hatten nur ein einziges Stübchen für sich behalten. (Erst im August 1786 konnten sie in die neue Wohnung »Auf dem Graben« ziehen.) In dieser Stube, die er mit der Mutter und den Brüdern teilte, mußte er seinen Schreibtisch aufschlagen. Nicht einen Augenblick war er allein. Ständig umknarrte ihn das Geräusch des ärmlichen Haushalts. Sehr bald wurde es ihm klar, daß er einen schlechten Tausch gemacht hatte. Außer dem eignen umgab ihn hier das Elend der ganzen verarmten Familie. Wenn sein Mittagessen in Leipzig auch nur geborgt war, so war es doch reichlich und regelmäßig gewesen. Hier sah er, daß er, verglichen mit der Lebenshaltung seiner Familie, dort wie ein Fürst gelebt hatte. Seiner schäbigen Kleidung war er sich dort kaum bewußt geworden, hier sah er sich auf einmal von zerlumpten Menschen umgeben, die die Seinen waren. Die Mahlzeiten bestanden meistens nur aus Salat mit trockenem Brot. »Wenn einmal ein Gulden ins Haus kam,« pflegte er später zu erzählen, »so war unter uns ein solcher Jubel, daß wir die Fenster hätten einschlagen mögen.«
Dazu kam die ihm verhaßte Stadt, eine Stadt »mit grauen Haaren«, wie er sie nannte. Mit düsteren Straßen lag sie in einem engen, freudlosen Talkessel. Nur die baumumkränzten Ufer der Saale bildeten einige hübsche Partien. Dies war die Gegend, in der einst Adam von Oerthel als Gymnasiast sein kleines Gartenhäuschen bewohnt hatte und an die ihn einige angenehme Erinnerungen knüpften. Das Schlimmste aber war der eingeengte und nur auf Erwerb gerichtete Sinn der Höfer, kleiner Kaufleute und Fabrikanten, unter denen er erst allmählich einige befreundete Familien fand.
In dieser Umgebung sollte er die nächsten Jahre
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