Saemtliche Werke von Jean Paul
mit wachen Sinnen genoß. In wenigen Tagen schreibt er Renate bereits wieder aus Schwarzenbach. »Baireuth und meine paar vertrauten Minuten darin liegen jetzt vom Abendrot der Erinnerung vergüldet vor mir.« »Gute Renate, ich bin heute zu ernsthaft. Denn am nämlichen Montagsmorgen, wo ich in der Eremitage künstliche Ruinen bestieg und bewunderte, fiel 12 Stunden weit das schönste Herz, das noch über diese kotige Erde ging, in ewige Ruinen zusammen – – mein guter Oerthel starb an Blattern. Niemand als ich weiß, was in seinem Kopf und Herzen, die nun auf immer der Sargdeckel und die Töpener Kirche überdeckt, für Tugend und Kenntnisse und Knospen und Blüten verborgen lagen. Sehen Sie, so sieht man, eh man 30 Jahre alt ist, die Lieblinge unsers Innern einsinken – so steht vor dem verarmenden Menschen ein Grab ums andere auf, und der Greis sieht die Sonne bloß unter Totenhügeln auf- und untergehen.« Der Tod des einstigen Schülers drückte ihn in eine jener Stimmungen nieder, über die er an Moritz schrieb: »Ich habe Stunden, nicht Tage, wo Ottomarische Ideen mich niederfällen.«
Schon während seines Baireuther Besuchs hatte Jean Paul die Arbeit an seinem zweiten Roman, dem »Hesperus«, begonnen, aber die stärksten stofflichen Anregungen sollten ihm erst während des Schreibens kommen. Renate stand an den Toren des Werks, aber im Verlauf der Arbeit wurde sie von Amöne Herold abgelöst. »Ach, Dir allein war meine brennende Seele offen, als der Hesperus aus ihr quoll«, schrieb er einige Jahre später an Amöne, die während der Hesperusarbeit mehr und mehr von ihm Besitz ergriff. Und hier scheint es sogar, als wenn Jean Paul zum erstenmal von wirklicher Leidenschaft ergriffen worden. Unter den Freundinnen war Amöne die am wenigsten schöne aber klügste. Vielleicht daß die zurückhaltende Sprödigkeit ihres Wesens den Dichter am heftigsten anzog und ihn sogar weiter vortrug, als er wollte und Amöne es zu gestatten geneigt war. Es gab Mißhelligkeiten und erregte Briefe. Jean Paul glaubte sich selbst bestrafen zu müssen damit, daß er sie nicht mehr sieht. Aber es ist unmöglich. »Ich würde dann nicht bloß viele fremde, und meine eigenen Freuden zerrütten, Zusammenkünfte stören und alle schönen Örter fliehen müssen: sondern dieser Entschluß wäre nichts als eine versteckte Absicht, mich zu rächen und Sie zu quälen. – – Das will ich nie, das kann ich nie, das hat die Person nie verdienet, die mir so viele schöne Stunden gegeben und der ich nichts vorzuwerfen habe als meine Ungenügsamkeit.« »Es war bloß Unsinn der Empfindung, zu versichern, daß ich nur die Wahl hätte zwischen Haß und Kälte. – Es ist noch jetzt Unwahrheit, zu versichern, daß ich eh ich noch alle unsere Gegenden verlasse, mein eigenes Herz bezwungen haben werde.« Das Tagebuch berichtet ergänzend von »leidenschaftlichen Szenen mit Amöne«. »Ich machte von den Zeichen ihrer Freundschaft zu eigennützige Auslegungen.« Einige Tage später: »Das Spiel ist aus. Ich zerrütte alles durch meine Wut, alles entschieden zu sehen.« »16. Jenn. Merkwürdigster Abend meines Lebens, da ich im Konzert unter dem Taumel, den Musik und Tanz über mich häufte, in ihr eine doppelte Entdeckung machte und ein vom Schicksal zerschnittenes Herz wider meinen Willen zusammenquetschte. – 17. Ging ich am Morgen zu ihr: rote Augen und die Fiebernacht zeigten die jammernde Seele. – 19. Jenn. sagt ich meinem teuren Freund die Entdeckung. – Mein Zurückprallen, da meine Vermutungen falsch und meine Hoffnungen zertrümmert waren. – Ich rase zu ihr und bekenne alles und will mich trennen von der geliebten Gestalt auf ewig. Ich laufe durch die Nachtkälte hin und her – mit den bittersten Tränen; lege mich im Finstern aufs Ottoische Klavier. Die Augen wurden von etwas anderm bedeckt als vom Schlaf.« Endlich im Februar: »Völlige Gleichgültigkeit gegen sie.«
Erst allmählich lief nach diesen Stürmen das freundschaftliche Verhältnis wieder in die alten Bahnen ein. Aber etwas blieb zwischen ihnen doch zerrissen. Die Zeit seiner sich anspinnenden Liebe mit ihrem Zauber lag ungelöst hinter ihm. Solche Abende wie der des Jahresendes blieben in seinem Herzen haften. Damals hatte er in das Tagebuch eintragen können: »Blieb in Herolds Hause bis 2 Uhr; schönste Abend meines kargen Lebens; ein gesungenes Wort von ihr ›Die Tage sind nicht mehr‹ beklemmt mich zu Tränen… Schöner letzter Tag. Neujahrswunsch
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