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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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er hatte diese Szenen auf besonderem Papier gesondert ausgearbeitet. Gleichzeitig bedeutete der Brief aber auch bereits die innere Loslösung von dem Werk, mit dem er, wie er schreibt, ein Jahr, in Wirklichkeit aber über anderthalb Jahre gelebt hatte. Und doch war die unter dem Schreiben erwartete Befreiung nicht eingetreten. Zu schwer lastete das Schicksal seiner früheren Bücher auf ihm. Konnte er anders denken, als daß nun wieder eine Zeit bitterster Enttäuschungen vor ihm lag? Verlegersuche, Zurückweisungen, wie sie seit den »Grönländischen Prozessen« sein Schaffen begleitet hatten. Hinzu kam eine steigende Unrast, die sein Dasein aufwühlte. In der »Unsichtbaren Loge« hatte er die Liebe zu Beate geschildert, wie er sie an dem verstorbenen Jugendfreunde Oerthel beobachtet hatte. Nun brannte er selbst, nicht von Liebe, aber von Sehnsucht nach ihr. Übermächtig stieg sein Verlangen nach einem Menschen, der ihm, dem er angehören konnte, hoch. Ein Thema, das mehr und mehr sein Schaffen, seine Briefe und seine Gespräche durchdringt. Die furchtbare Einsamkeit des Alleinseins erschreckte ihn. Er wurde nicht müde, sich auszumalen, wie er in die fremde Welt eines andern Wesens hineinströmen würde. Je ferner er schon durch seine unvollkommene wirtschaftliche Lage der Begründung eines eigenen Hausstandes war, desto mehr sehnte er sich nach bürgerlicher Gebundenheit und menschlichem Glück in vollkommener Gemeinschaft. Um Renate Wirth und Amöne Herold kreisten seine Gedanken, mit Helene Köhler versuchte er jene höchste innere Übereinstimmung zu gewinnen, die ihm vorschwebte. Aber er mußte bemerken, daß unter den Hofer Freundinnen keine war, die jenen Gipfelpunkt höchster Vollkommenheit, wie er ihn ersehnte, bedeutete. Damals war es ihm noch nicht klar, daß seine Sehnsucht jede Wirklichkeit überstieg, daß er einem Phantom nachjagte, das die Erde ihm nicht bieten konnte. Daß nur die Dichtung ihm, dem Sehenden und alles Wissenden, die Erfüllung darreichen konnte, die die Erde nur dem weniger Durchschauenden bietet. Es ist ein Beweis von der kosmischen Verankerung seines Ungenüges, daß ihm später die glänzenden Frauengestalten der großen Welt nicht geben konnten, was er bei seinen bürgerlichen Freundinnen vergeblich suchte.
    Eine quälende Spannung kam in den Verkehr mit ihnen. Zerwürfnisse mit den Eltern zerrissen das harmonische Verhältnis. Sein Mangel an einer festen und gesicherten Stellung im bürgerlichen Leben mochte verwirrend hinzukommen. Er selbst bebte vor einem bindenden Wort zurück oder fühlte sich zurückgestoßen. Voll schwellender Empfindungen lief er von Schwarzenbach in die Stadt. »Im Konzert, Wut zu Tanz«, lautet eine der zahlreichen Tagebucheintragungen. »Vertraulicher Dialog mit Renate.« Und einige Monate später: »Die Liebe zur Heroldin wächst oder entsteht.« Aber das heilige Ineinanderschmelzen von zwei Welten blieb ihm versagt. Um so mehr mußte es seine nächste Dichtung durchschwingen. Schon die »Unsichtbare Loge« hatte den schicksalhaften Bann der Liebe zu gestalten versucht. Aber das Zueinanderfinden von Gustav und Beate war doch noch andern, mehr erzieherischen Zielen untergeordnet gewesen. Noch nicht genug Hindernisse waren zwischen den Liebenden aufgetürmt. Im Grunde sollte ja Beate nur nach dem unausgeführten Plan des Ganzen eine Vorstufe für Gustav bedeuten. In dem Augenblick, da die feindlichen Gewalten sich gegen die Liebenden wandten, war Beate ja schon dem Tode anheimgegeben und die Kraft des Dichters im ersten Anlauf zerstoben. Noch einmal ein solches Schicksal anspinnen und durch alle Hindernisse hindurch zur seligen Erfüllung führen; die im ersten Roman noch wahllos schweifenden Gedanken bewußter dem fester erfaßten Ziele hinzuwenden – das mußte nach den inneren Spannungen, die sich in der »Unsichtbaren Loge« nur teilweise entladen hatten, reizen. »Ich habe jetzt etwas besseres im Kopfe«, heißt es schon in dem Briefe an Otto vom 27. Februar, also zu einer Zeit, als die »Unsichtbare Loge« noch nicht völlig beendet war. Nichts anderes konnte dieses »bessere« sein als ein neuer Roman, sein zweiter, der »Hesperus«.
    Und doch wären die ersten Blüten dieser Ranken im Frühfrost der vergeblichen Anstrengung dahingesunken, wenn nicht von Karl Philipp Moritz die erste begeisterte Anerkennung aus der großen Welt gekommen wäre, und mit ihr zugleich die endgültige pekuniäre Entlastung und Befreiung von den drückenden

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