Saemtliche Werke von Jean Paul
an H.« Als er von diesem schönsten Abend nach Hause kam, hatte er ihr noch in der Nacht den erwähnten Neujahrswunsch geschrieben. »Für meine Freundin Amöne am Ende des Jahres 1792.« Es eine kurze poetische Erzählung »Der Genius«. In der Mitternacht, die zwischen zwei Jahren liegt, wird die Sanduhr des alten umgestürzt – Alle Genien der schlafenden Menschen ziehen in den Mond und fallen nieder vor dem Throne des Höchsten. Jeder Genius führet hinter sich die 365 Wolken, durch die er seinen Menschen zog. Amönes Genius fleht zum Höchsten: da der Mensch doch eine versunkene Wasserpflanze ist, die ihre erschütterten gepreßten Blüten mühsam über die Wellen hebt, ihn über seinen Schützling fallen zu lassen wie eine finstre Wolke, die nicht weichen will, in der Gestalt eines Gedankens, in der Gestalt eines Liedes, in der Gestalt eines Traumes mit liebendem Zittern und sie liebend zwingen zu weinen, damit er ihr das Zeichen gebe, daß ihr guter Genius sie umarmt habe. »Das Schicksal antwortet nie.« – »Mein Genius fliegt neben deinem und seine Wolken decken, wenn Güsse in ihnen liegen, einen tiefen Schatten auf die des meinigen und einen Purpurwiderschein, wenn Abendgold sie überzieht.«
Wenige Wochen später kam es zu den »leidenschaftlichen Szenen«, die die einzige große Liebe seiner Jünglingsjahre begruben.
Es war ein ungeheures Glück für Jean Paul, daß er im »Hesperus« die Stimmung solcher Abende, wie den des Jahresendes mit Amönens Gesang, unmittelbar wiedergeben konnte. Als Victor Klothilde singen hört, da packt ihn das gleiche Weh und treibt ihn in den Garten hinaus und ringt ihm einen Brief ab, diesmal nicht an Klothilde selber, aber an ihren gemeinsamen Lehrer Dahore oder Emanuel. Und wenig später wiederholen sich die leidenschaftlichen Auftritte, wiederholt sich der ungeheure Schmerz um die ewige Aussichtslosigkeit seiner Liebe zu der Angebeteten, die dem Freunde angehört. Während er den »Hesperus« schrieb, führte auch das Schicksal auf seltsame Weise den Roman fort, in dem er selbst mitspielte. Ja, als hätte der Dichter seherisch in das Innere seiner Gestalten und ihrer Vorbilder geblickt, schien er im Buche nur vorwegzunehmen, was sich gleich darauf in Wirklichkeit zutrug. Die seltsame Einkleidung des Romans: daß ihm nämlich die Begebenheiten erst während des Schreibens zugetragen werden, entfernt sich gar nicht so weit von der Wirklichkeit. Zwei Jahre nach jenem Silvesterabend im Heroldschen Hause schrieb Jean Paul selber den über Amönens und Christian Ottos Liebe entscheidenden Brief an den Freund. Er übersandte ihm Tagebuchblätter, die Amöne ihm anvertraut hatte, und schrieb dazu: »Ich setze zu den Schilderungen ihres Tagebuchs keine dazu; jetzt wirst Du glauben, daß ihr gespanntes trübes Aussehen in Gesellschaften nicht verheimlichter kämpfender Groll sondern daß er das Zurückpressen der überwältigenden Rührung ist. – Gib mir Deine Antwort wie Du willst, mündlich, schriftlich, schweigend; aber verzeih mir diese eiligen ohne Wage des Ausdrucks hingeschriebenen Bogen. – Es war meine Pflicht: ich konnte es nicht länger ansehen dieses allmähliche Versinken aus einem Schmerz in den andern, diese zergehende Erweichung des Herzens, in das jetzt die Töne des Konzerts zu schmerzhaft tief einschneiden und das in allen Büchern nicht mehr die kleinste Ähnlichkeit mit seiner Geschichte aushält.«
Am gleichen Tage schrieb er an Amöne selbst, und seine Worte lesen sich wie eine Charakterisierung Klothildens, der Heldin des »Hesperus«: »Nur ich und noch jemand, den ich Ihnen wohl nicht zu nennen brauche, erkennen Sie vielleicht ganz, und vorher war es Wernlein, Ihr letzter und einziger Lehrer, der der verkannten Seele ihre Rechte gab. Nur das beste Herz konnte nicht zum bittersten werden unter den immerwährenden pädagogischen Mißhandlungen und unter lauter sarkastischen Umgebungen. Ich sehe und bewundere Ihre stille Ergebung in die väterliche Härte, Ihre unbegreifliche Geduld mit allen Giftmischereien der Anspielungen und Taten, Ihre häusliche und außerhäusliche Sanftmut mit Ihrer gewöhnlichen Raschheit und Lebendigkeit, über die Sie so viele Gewalt bei kränkenden Zufällen haben. Sie sind aus meiner Bekanntschaft die einzige Ihres Geschlechts, der ich jedes Wort heilig glauben darf und die in den mißlichsten Lagen zu keiner Wendung Zuflucht nimmt als höchstens zum Schweigen… Verschiedene Stellen des von Ihnen erhaltenen
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