Saemtliche Werke von Jean Paul
Freundschaft geschlossen. Mit der Intuition der Freundesliebe erkannte Jean Paul das Weiche und Schwärmerische in Moritz, soweit es ihn nicht bereits in dessen Büchern, vor allem in dem Roman »Andreas Hartknopfs Predigerjahre«, ergriffen hatte, der zwei Jahre vorher erschienen war. Wenn Wernlein einige der äußeren Umstände zu der Gestalt Emanuel-Dahores hergab, alles übrige empfing der angebetete Lehrer von Moritz, und vollends Moritzens plötzlicher Tod am 26. Juni 1793, also mitten in der Arbeit an dem Roman, mußte seine Gestalt ins Ungeheure vergrößern. Jean Paul empfing die Todesnachricht, als er gerade unvergeßlich schöne Tage in Neustadt und Baireuth hinter sich hatte.
Außer der Todesnachricht fand er in Schwarzenbach die ersten Exemplare der »Unsichtbaren Loge« vor. Zum erstenmal, anders als in den beiden Satirenbüchern, hatte er sich in einer Gestalt herausgestellt, zu der er sich freudig bekennen konnte. Schon im Herbst 1792 hatte er von Baireuth aus an Renate schreiben können: »Mein Roman wird zu Michaelis mit Kupfern von Chodowiezky in Berlin sehr schön gedruckt.« Aber etwas anderes ist es doch – zumal jungen Mädchen gegenüber –, einen Vertrag in der Tasche zu haben oder ein fertiges Buch auf den Tisch legen zu können. In die Erschütterung über den Tod des ungekannten Freundes mischte sich die Freude über die empfangenen Exemplare. Bei dieser Gelegenheit mußte er wohl eines Mannes gedenken, an den er seit fast vier Jahren nicht mehr geschrieben hatte: des Pfarrers Vogel in Arzberg. Als er kurz vorher seine Briefe neu geordnet hatte, waren ihm die Vogelschen wieder in die Hände gefallen. »Meine Jugendliebe zum Jugendfreund Pfarrer in Arzberg kömmt wieder und ich bereue mein eitles und undankbares Betragen«, hatte er dem Tagebuch anvertraut. Vogel beantwortete die Übersendung des neuen Buches mit der alten Herzlichkeit und voller Begeisterung für die »Unsichtbare Loge«.
Inzwischen war die Arbeit am »Hesperus« bereits vorgeschritten. Moritz hatte sie nicht mehr zu Gesicht bekommen können, Christian Otto war wieder der einzige und erste Kritiker. Ende Juli oder Anfang August 1793 schickte Jean Paul ihm den ersten Teil: sechzehn Kapitel und einen Schalttag. »Der Tod des Moritz ist am meisten schuld, daß ich Dir das Buch gebe, damit Du mir wieder Lust zum Fortsetzen gibst – zumal da mich eine Person im Buche beständig an ihn erinnert.« Diese Person war natürlich Emanuel-Dahore. »Meine ganze gegenwärtige Seele ist mit allem Inneren, was mich glücklich und nicht glücklich macht, und was Du nicht mit dem äußern kleinen Bürgerleben und meinem äußern Schein vermengen darfst, diese ist so wie die Wirkungen der Tage, durch die ich ging, in diese Blätter und die künftigen hineingedrückt; ich fühle aber täglich mehr, wie jeder Bogen, den ich schreibe, mich fähiger macht, entweder glücklicher oder bekümmerter zu werden.« »Wenn Du hinausgelesen – zumal das was im Januar und Februar geschrieben ist, wo mich Entschluß und Schicksal in einer steten Erschütterung erhielt – so wirst Du mit einem, der seine innere Lage in immer größeres Mißverhältnis mit den meisten äußern bringt und dessen Seelennerven jetzt bloß liegen, weil er sich die Haut davon wegschreibt, so wirst Du mit einem solchen vielleicht eine gelindere Rechnung halten als er selber mit sich halten sollte. Auch dieses wird vorübergehen und wenn man sich weich schreiben kann, wird man sich auch wieder hart schreiben können.« Man entsinnt sich der Ereignisse im Januar und im Februar des Jahres, von denen er schreibt, daß sie ihn in einer steten Erschütterung erhielten. Es war die Liebe zu Amöne und die leidenschaftlichen Auseinandersetzungen, die sie im Gefolge hatte. Die Briefstelle zeigt, daß er unter dem unmittelbaren Eindruck der Geschehnisse über die Begegnung zwischen Viktor und Klothilde geschrieben hatte. Aber die Erschütterungen, die ihm aus dem Freundinnenkreise kommen sollten, waren noch keineswegs beendet. Ende des Sommers verlobte er sich mit Karoline Herold, der Schwester Amönens.
Was ihn an dieses erst fünfzehnjährige Mädchen band, ist schwer zu sagen. Seine Briefe an sie sind weit weniger schwärmerisch als an die älteren Freundinnen. Vielleicht wollte er durch diese Bindung allen Anfechtungen entgehen; vielleicht sich vor einer wieder erwachenden Leidenschaft zu Renate Wirth flüchten, die ihm doch während der ganzen Jahre am nächsten stand. Wir
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