Saemtliche Werke von Jean Paul
gehen wohl nicht fehl, wenn wir diese Verlobung mit Karoline als eine Antwort auf die Verlobung Renatens mit dem älteren der Brüder Otto auffassen. Es war hierbei zu Eifersuchtsszenen gekommen. Christoph Otto hatte beobachtet, wie sich Jean Paul von seiner Braut verabschiedete, offenbar mit einem Kuß, und ihr das Zusammensein mit Jean Paul verboten. Renate mußte ihn bitten, sie nicht mehr zu besuchen. »Hätte ich doch Beredsamkeit genug, ihm ein Verhältnis zu erklären, das er immer mit so falschen Augen betrachtet… Leben Sie wohl, – Glücklicher als ich, durch den Besitz einer andern Freundschaft. Darf ich mich auch nie öffentlich Ihre Freundin nennen, so werde ich nie aufhören, mit Ehrfurcht an eine Freundschaft zu denken, die so oft mein Trost war.« Am 9. März 1795 fand die Hochzeit zwischen Christoph Otto und Renate statt. Die neuen Verhältnisse glichen die aufgeregten Wogen allmählich wieder aus, aber nicht ohne daß ein bitteres Gefühl in Jean Pauls Brust zurückblieb.
»Dieser erste Teil«, schrieb Jean Paul im Juli 1793 an Otto über den »Hesperus«, »zwirnt nur das Garn, aus dem ich die Geschichte webe. – Er wird, da ich darin nur für meine Schwelgereien besorgt gewesen, bloß für die Minorität, ja nur für die Minimität sein. – Er wird zu heftig sein. Meine Lieblingsgerichte werden zu oft wiederzukehren scheinen.« Man bemerkt den durchgreifenden Unterschied in der Einstellung des neuen Romans gegenüber der »Unsichtbaren Loge«. Dort wollte Jean Paul ein Weltgebäude errichten. Alle in ihm widerstreitenden Ideen sollten sich zu einem Ganzen runden, der Held den höchsten Zielen zugeführt werden. Diesmal schrieb der Dichter sich ganz persönliche Nöte vom Herzen, schwelgte in großen Empfindungen. Das Thema Liebe, seit dem ersten Romanversuch aus der Muluszeit gewaltsam zurückgedrängt, brach riesenhaft hervor. Was ihn seit dem Silvesterabend erschütterte, ihn seiner selbst nicht mehr mächtig umtrieb, das sollte den »Hesperus« erfüllen. Die »Schwelgereien«, die er sich seit zehn Jahren verboten hatte, hier gab er ihnen Raum im Werk. In der »Unsichtbaren Loge« herrschte die Freundschaft vor, jetzt trat die Liebe an ihre Stelle, und die Freundschaft zwischen Viktor und Flamin wurde sogar durch diese Liebe bedroht, in einem viel höheren Grade als die Freundschaft zwischen Gustav und Amandus durch die Liebe zu Beate. Erst jetzt war Jean Paul fähig, alle Enpfindungen auf ihren Gipfelpunkt zu treiben, da er am eigenen Leibe die Gewalt der Leidenschaften erfahren hatte. So finden wir sein ganzes Erleben vor und während der Niederschrift im »Hesperus« vor. Wie Amöne zwischen Christian Otto und Jean Paul stand, so steht Klothilde zwischen Viktor und Flamin. Und in den Eifersuchtsszenen, zu denen Flamin sich hinreißen läßt, spiegelt sich auch die Eifersucht Christoph Ottos, der seiner Braut Renate das Zusammensein mit Jean Paul verbieten wollte. Wie aber Jean Paul, von Liebe zu Amöne ergriffen, sich mit Karoline Herold verlobt, so fällt Viktor, da seine Leidenschaft zu Klothilde hoffnungslos erscheint, in die Schlingen Joachimes.
Aber noch einer andern Voraussetzung des Romans müssen wir gedenken. Schon in den Satiren hatte sich der junge Jean Paul gegen die Mißwirtschaft der Fürsten gewandt, und der Kampf gegen sie war einer der Angelpunkte seines Denkens gewesen. In der »Unsichtbaren Loge« bewegte sich seine Schilderung noch völlig auf dem Niveau seiner Satiren, etwa der »Scherzhaften Phantasie« von J. P. F. Hasus. Inzwischen war die französische Revolution losgebrochen. Im August 1792 waren die Tuilerien erstürmt, am 21 Januar 1793 war Ludwig XVI. hingerichtet worden. Danton und Robespierre entfalteten in Paris ihr Schreckensregiment. Es war klar, daß diese Ereignisse auf Jean Paul den tiefsten Eindruck machen mußten. Im März 1793 versprach er in einem Brief an Otto, »zu Ostern 1794 einige Winke über das Terzianfieber der Weltrevolution« zu geben, und er schreibt von den Fürsten: »da sie die ihrem Stande eigene Unverschämtheit besitzen, Torheiten und Ungerechtigkeiten zu gleicher Zeit zu begehen und einzusehen: so bringt sie kein Licht, so wenig wie den Papst, sondern nur das Schütteln von ihren Throngipfeln herab.« Das waren andere Töne als nur satirische, und sie sollten wohl ursprünglich den ganzen Hesperus durchschwingen. Dennoch unterschied sich schließlich die Schilderung des Hofes in dem neuen Roman nicht allzusehr von der
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