Saemtliche Werke von Jean Paul
Freiheit«, ist vorüber. Der Graf will Frankreich verlassen, angewidert von dem Blutrausch der Bewegung, der er seine Kraft gewidmet, und nach seiner schottischen Heimat zurückkehren. In Rouen warten die Gräfin von Mladotta und ihre blutjunge Tochter auf ihn. Graf Mladotta mußte mit Hunderten seiner Stammesgenossen die Guillotine besteigen. Lismore will die beiden Frauen retten und nach Schottland mit hinübernehmen. Er hat zu Adeline eine heftige Neigung, die er hinter einer freundschaftlichen Zuneigung für die Mutter zu verstecken sucht. Er heilt durch Berührung den zitternden Arm der alten Gräfin, die einen Schlaganfall erlitten hatte. (Hier spielt Jean Paul auf die eigene Heilkraft an, mit der er öfters Bekannte durch bloße Berührung seiner Hand heilte oder zu heilen suchte.) Es ist nicht leicht für den Grafen, den Übergang von der Mutter zur Tochter zu finden, die sich ihm in kindlicher Verehrung zuneigt und von einer Leidenschaft für ihn weltenfern zu sein scheint. Im Abenddämmern einer Echolandschaft gelingt es ihm endlich, ihre Zuneigung zu erwecken.
Hinter dem Schicksal der drei Menschen steht immer groß und sphinxhaft die Geschichte der Zeit. »Wenn der Krieg seinen Ameisen- oder Maulwurfspflug auf unserer Kugel einsetzt und mit einer Pflugschar, welche Länder durchschneidet, die aufgeworfenen Ameisenhügel, die man Städte nennt, aushebt, umstürzt und zerreibt, so schämt man sich beinahe, die Wunde einer einzelnen Ameise anzumerken«, beginnt die vierte »Belustigung«. Immer spielt das große Thema der Revolution in das Leben der drei Menschen hinein. Die Gräfin Mladotta stirbt und hat als ihren letzten Wunsch der Tochter anvertraut, daß sie des Grafen Lismore Frau werde. Aber gerade dieser letzte Wunsch scheint sich als unüberwindliches Hindernis zwischen Lismore und seine Braut zu stellen. Zwar folgt sie ihm in seine düstere schottische Heimat, aber ganz von Trauer um ihre Mutter erfüllt und nicht den Übergang zur Lust des Lebens und der Liebe findend. Erschwerend kommt der Haß seiner Schwester Jane Gladuse hinzu, die sich durch des Bruders geplante Heirat in ihrem Erbe geschmälert sieht. Die Hochzeit wird auf den Frühling angesetzt, aber der Glasgower Winter macht Adeline immer kränklicher. Der Graf ist verzweifelt, er sieht nicht, daß Adeline ihn liebt und nur die Scham ihr den Mund verschließt.
Den Frühling bringen die Verlobten auf Lismores Gut zu. Auf diese Frühlingstage hat der Graf seine ganze Hoffnung gesetzt. Über dem herrlichen See, einer Insel gegenüber, gibt es ein Echo, das ganz wie jenes bei Rouen ist, da Adeline sich ihm ergab. Abends sucht er mit ihr das Wasserhaus am See auf. Er hat einen Waldhornisten mitgenommen, der von einer weit in den See ragenden Landzunge das Echo der Berge wecken soll. In dem kleinen Wasserhaus ringt Lismore mit der Toten, die die Seele seiner Geliebten gebannt hält. Eine wunderbare Stimmung erfüllt den Abend. Fast scheint die letzte Starre von Adeline fortzutauen. Arm in Arm gehen sie zu dem Gutshaus zurück, »aber sie küßten sich nicht«. Zwei Seiten über die grenzenlose Einsamkeit des Menschen beschließen die Geschichte des Grafen und Adelinens. Wir erfahren nichts mehr von ihnen.
Statt dessen tut sich das bunte Leben des satirischen Appendix auf. Die Leser und Leserinnen klagen gegen Jean Paul wegen der fortwährenden Unterbrechungen in seinen Romanen durch Extrablätter und andere satirische Einschiebsel. Gerade an dieser Stelle, da die Geschichte Adelinens und des Grafen Lismore plötzlich abgebrochen ist, scheint diese fingierte Klagschrift besonders am Platze. Jean Paul verteidigt sich in einer Rede, die tief in die Natur seines Schaffens hineinleuchtet. »Nicht nur die Wahrheit besteht aus allen Menschensystemen zusammengenommen… sondern auch das rechte Herz ist aus allen ungleichen Gefühlen gebaut und trägt ein Weltall nicht als Krone sondern als Stufe.« Man wird kaum eine bessere Begründung für das Durcheinander in Jean Pauls Werken finden als diesen Hinweis auf die Buntheit des Lebens selber. Jean Paul war sich des Unorganischen seiner Einschiebsel vollkommen bewußt. Er pflegte in den Exemplaren für seine Freundinnen mit Bleistift auszustreichen, was sie nicht zu lesen brauchten, und bezeugt damit selbst das Willkürliche seiner Einschiebungen. Vielleicht könnte man, um Jean Paul einzubürgern, seine Romane, wie es kein Geringerer als Hermann Hesse mit dem »Titan« gemacht hat, zunächst einmal
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