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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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eigenen Mythologie abhanden gekommen. »Wie nun, wenn aus der Mythologie eines benachbarten Volkes, auch deutschen Stammes, uns hierüber ein Ersatz käme, der für unsere Sprache gleichsam geboren sich ihr ganz anschlösse und ihrer Dürftigkeit an ausgebildeten Fiktionen abhülfe, wer würde ihn von sich stoßen?« Als einen solchen Schatz von ausgebildeten Stammesvorstellungen empfiehlt er den deutschen Dichtern die nordische Mythologie.
    Man kann sich nicht wundern, daß Schiller voller Ablehnung antwortet. Wenn nämlich die Poesie, setzt er auseinander, aus dem Leben, aus der Zeit, aus dem Wirklichen hervorgehe, dann hätte Herder wohl recht. Dann entscheide für jene nordischen Gebilde ihre Verwandtschaft mit unserm germanischen Geiste. Aber diese Voraussetzung wird von Schiller auf das heftigste bestritten. »Es läßt sich, wie ich denke, beweisen, daß unser Denken und Treiben, unser bürgerliches, politisches, religiöses, wissenschaftliches Leben und Wirken wie die Prosa der Poesie entgegengesetzt ist.« Die Übermacht der Prosa im Ganzen unseres Zustandes wäre zu entschieden und zu groß, als daß der poetische Geist darüber Meister und Herr werden könnte, er könne nur davon angesteckt und zugrunde gerichtet werden. Daher verlangt Schiller statt enger Verbindung vielmehr strengste Scheidung zwischen der poetischen und der wirklichen Welt. Hierin liege gerade der Einzigkeitswert der griechischen Mythologie für die deutsche Kunst. Daher scheint es ihm gerade ein Gewinn für den dichterischen deutschen Geist, »daß er seine eigene Welt formiert und durch die griechischen Mythen der Verwandte eines fernen, fremden und idealischen Zeitalters bleibt, da ihn die Wirklichkeit nur beschmutzen würde«.
    Man übersieht gewöhnlich das wirklichkeitfliehende Moment bei unsern Klassikern. Hier ist es einmal deutlich und in seiner ganzen grandiosen Einseitigkeit formuliert. Durch die Berührung mit der eigenen Wirklichkeit, mit den ihm verwandten mythologischen Vorstellungen, könne der deutsche dichterische Geist nur beschmutzt werden. Bis zu diesem erschreckenden Grade geht Schillers Abneigung gegen die deutsche Überlieferung. Was sollte Herder gegenüber dieser Verstiegenheit anfangen? Für ihn war es ja selbstverständlich, daß die Dichtung »aus dem Leben, aus der Zeit, aus der Wirklichkeit hervorgehen« müsse. Es ist die gleiche Einstellung, die wir immer wieder bei Jean Paul finden, so wenn er in der »Unsichtbaren Loge« schreibt, daß die Griechen ohne das Vorbild der Griechen gebildet haben, und daß ihre Kunst aus Stammesart, Klima und Verfassung hervorgegangen ist. Herder schwieg und gab die Mitarbeit an den »Horen« auf.
    Dieser Zusammenstoß mit Schiller offenbarte den angesammelten Konfliktsstoff viel deutlicher als der Anlaß, der zum endgültigen Bruch mit Goethe führte. Dieser Anlaß ist für alle Beteiligten ganz außergewöhnlich peinlich.
    Als Herder einen Ruf an die Göttinger Universität erhielt, hatte ihm Goethe in aufrichtiger Freundschaft abgeraten, von Weimar fortzugehen. Die ersehnte Muße für seine Arbeiten würde er auch in Göttingen nicht finden, vielmehr wie überall so auch dort auf Kabalen und Intrigen stoßen. In den Verhandlungen mit dem Herzog wurde die Amtstätigkeit Herders nennenswert erleichtert, sein Gehalt erhöht und, als wichtigstes, die Zusicherung gegeben, daß der Herzog für die Kosten des Studierens seiner Kinder und für deren Unterkommen sorgen werde. Gerade dieser letzte Punkt war es, der Herder zum Bleiben in Weimar bestimmte. Man kann wohl sagen, daß der Fortgang Herders ein unersetzlicher Verlust für das Herzogtum gewesen wäre. Im Kirchen- und Schulwesen hat er schlechthin Mustergültiges geschaffen. Sein Amtseifer war so groß, daß er fast alle Kleinarbeit sogar an sich riß, wenn er sie nicht in den besten Händen wußte, und unter der Last der Amtsgeschäfte zu erliegen drohte. Er war einer jener Menschen, die stets das Äußerste an Kraft hergeben müssen und dann noch nicht von sich befriedigt sind. Darin mochte Goethe recht haben, daß Herder auch in Göttingen keine Muße für seine Schöpfungen aufgebracht haben würde. Er war nicht der Mensch, um den herum es Frieden und Muße gab, und auch an der Universität würde sein Feuereifer alle Arten von Amtsgeschäften und Reformplänen an sich gerissen haben. Wie dem auch sein mochte: es gelang, Herder in Weimar zu halten.
    Inzwischen wuchsen die Söhne, für deren Unterhalt aufzukommen der

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