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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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in sich einschlang. Einen starken Hang zum phantastischen Umfassen der Welt in ihren äußersten Polen hatte er immer in sich verspürt. Wir entsinnen uns, was er über Habermanns große Tour in seinen »Teufelspapieren« schrieb: »So ein Vergnügen, womit ich Habermanns Reise machte, indem ich das rechte Bein am arktischen Pole und das linke am antarktischen hatte, gibt’s schwerlich mehr.« In den »Palingenesieen« hatte er dann Habermann mit Leibgeber-Schoppe zu einer Person zusammengezogen, und wenn er jetzt in seinem »ungestümen, durchreißenden« Gianozzo den Abenteurertypus, der auch in ihm lebendig war, gestalten wollte, so lag es nahe, daß er wiederum Leibgebern eine neue Gestalt lieh, eben die des kühnen Luftseglers. Manches spricht dafür, daß er Leibgeber im »Titan« sich von Zeit zu Zeit in die Lüfte schwingen lassen wollte, um von der riesigen Luftperspektive aus auf das kleine Menschengewimmel unten herniederzuschauen. Ein Einfall, der so recht in die Titanendichtung und zu dem fliegenden Wesen des immer wieder sich jedem Zufassen entziehenden Leibgebers gepaßt haben würde. Aber er mochte wohl fürchten, die Dichtung allzusehr zu überladen, und so arbeitete er den Gianozzo gesondert aus, um ihn als Ganzes dem satirischen Anhang zum »Titan« einzuverleiben.
    Als eigene Aufzeichnungen des kühnen Luftfahrers gibt sich dieses »Seebuch«. Die Vorrede gibt die geistige Haltung des Ganzen an: »Der ungestüme, durchreißende Gianozzo, satt seines prosaischen Jahrhunderts ohne Theokratie und eines Lebens ins Deutsche übersetzt – so recht erbittert von der allgemeinen freundlichen Auswechslung gegenseitiger Lüge und Tücke – recht feind dem schwankenden Halblob aller Parteien und dem schlaffen Bündnisknüpfen… – anbetend jede derbe Kraft und die Hände ausstreckend nach dem Äther der Freiheit – dieser Mensch, den die Sättigung an der tiefen Kerker- und Gassenluft aufgejagt in die Bergluft…«; dieser Mensch vereinigt allerdings in sich den ganzen Trotz eines Titanen gegen ein erschlafftes Zeitalter. Mit seiner Gondel hängt er freizügig in der Luft, an keine Schranke gebunden, überall hineinfahrend unter diese »statistischen kleinstädtischen Achtzehnjahrhunderter ohne Geister und Religion«. Hier sind zum erstenmal Töne der jungen romantischen Bewegung angeschlagen. »Zeitalter ohne Theokratie und ohne Religion« – das ist wie von Novalis oder dem jungen Friedrich Schlegel gesagt. In vierzehn »Fahrten« schildert Gianozzo dem Freunde Graul – »dieser Name ist viel besser als dein letzter, Leibgeber« – seine Abenteuer. Diese Abenteuer selbst könnten nun allerdings wieder den Satiren der »Teufelspapiere« entnommen sein, wenn die Richtung der Satire sich nicht inzwischen in der angedeuteten Weise verändert hätte. Sie ist gegen die preußische Aufklärung hingewendet. »Himmel!« schreibt er von den Bewohnern der guten Stadt Mülanz, »es waren aufgeklärte Achtzehnjahrhunderter – sie standen ganz für Friedrich II., für die gemäßigte Freiheit und gute Erholungslektüre und einen gemäßigten Deismus – und eine gemäßigte Philosophie – sie erklärten sich sehr gegen Geistererscheinungen, Schwärmerei und Extreme – sie lasen ihren Dichter sehr gern als ein Stilistikum zum Vorteil der Geschäfte und zur Abspannung vom Soliden – . . . sie hatten die große Sphinx, die uns das Rätsel des Lebens aufgibt, totgemacht und führten den ausgestopften Balg bei sich und mußten es für ein Wunder halten, daß ein anderer eines annimmt.« Das ist alles dem Ausdrucksschatz der Romantik entnommen oder nimmt ihn vielmehr vorweg. Denn in dieser Klarheit war die Einstellung der Romantiker zu der Zeit damals noch nie gefaßt worden. Erst von jetzt ab wird diese Sprache zum notwendigen Requisit der romantischen Satire, sich bis zu E. T. A. Hoffmann steigernd.
    Aber in diesen satirischen Ausfällen liegt nicht der Schwerpunkt der Arbeit. Es ist das grandiose Naturgefühl, das in die Luftperspektive emporgerissen wird, die Überschau der Erdrindenerscheinung Leben von der Höhe eines wahrhaft titanischen Daseins aus, das diese Nebenarbeit zum Dichtwerk erhebt. Kaum ist etwas Großartigeres geschrieben worden als die Beschreibung einer solchen Fahrt. »Viertehalbtausend Fuß tief rannte die weite Erde – ich glaubte festzuschweben – unter mir dahin, und ihr breiter Teller lief mir entgegen, worauf sich Berge und Holzungen und Klöster, Marktschiffe und Türme und

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