Saemtliche Werke von Jean Paul
geplagt, allein in seinem Arbeitszimmer, und nun erscheinen ihm die wunderbaren Gestalten, die zu ihm von dem kommenden Jahrhundert sprechen. Ein langer, bleicher, in einen schwarzen Mantel gehüllter Jüngling, ein Mädchen, der Liane aus dem »Titan« ähnlich, und, auf dem Kanapee Platz nehmend, eine unheimliche Schwedenmaske mit einem Sprachrohr in der Hand. Noch andere Gestalten, die sich im Hintergrund verlieren oder nur zeitweilig sichtbar werden. »Mein Name ist Pfeifenberger«, fängt der Schwedenkopf an, der in erster Linie das Gespräch führt. Es sind seltsame Voraussagen des Kommenden, die in dieser Traumdichtung Wort werden. Die Völker und die Weiber und die Neger und die Liebe werden frei werden, prophezeit Pfeifenberger. Sprachgelehrte werden in allen Bibliotheken nach einer Edda und nach einer Bibel forschen, und ein künftiger Schiller wird das Neue Testament lesen, um sich in die Charaktere eines Christen und Theisten täuschend zu setzen und dann beide auf das Theater. Seltsame Streiflichter werden über die kommenden Jahrhunderte geworfen. Gespenstische Worte glimmen auf, verblüffend durch Treffsicherheit, abirrend ins Phantastische. Alle Völker der Erde, die Russen wie die Kamtschadalen, werden in den Kulturkreis hineinwachsen und eigene Literaturen hervorbringen. Wie ein Alpdruck gleitet das Gespräch fort. Am großartigsten ist die Vision des Letzten Menschen, der auf einem Berg unter dem Äquator das Ende der Erde erwartet. Eine Uhr mit sieben umeinander wirbelnden Zeigern führt der Jüngling als Zeitmesser bei sich. Diese Uhr vermittelt den unheimlichen Eindruck, den das Fliegen der Zeit in der stillen nächtlichen Stube macht. »In die hinter fünf, sechs Jahrtausenden liegende Vergangenheit zurückzuschauen, gibt uns mutige Jugendgefühle…; hingegen vorauszublicken weit über unsern letzten Tag hinweg, und unzählige Jahrtausende herziehn zu sehen, die unsern bemooseten Spiel- und Begräbnisplatz immer höher überschneien und aufs neue Städte und Gärten und auf diese wieder neuere und so ungemessen fort aufschichten, dieses ewige immer tiefere Eingraben und Verbauen verfinstert und belastet uns das freie Herz.« Und diese Stimmung eines vagen Blicks in die kommenden Jahrtausende, dieses Belastetwerden von immer neuen Kulturen und neuen Schichten, die sich über uns ansammeln, ist hier getroffen und reißt uns in ihre Abgründigkeit und Endlosigkeit hinein.
Endlich verschwinden die Gestalten. Das neue Jahrhundert holt zum Schlage aus. Elf Schläge durchzittern die Luft, nur der zwölfte Schlag bleibt aus. In diesem jähen Abreißen des Schlagens, diesem plötzlichen Stillestehen der Zeit vor dem dunkel drohenden neuen Jahrhundert, ist eine so unheimlich grausige Stimmung eingefangen, daß alles dahinter zurückbleibt, was E. T. A. Hoffmann je an Spukhaftem gedichtet hat. Sanft wird das Grausige aufgelöst. Hermine, die Gattin, kommt nach Hause, und siehe, es ist erst elf Uhr. Nun erst weicht der Spuk völlig aus dem Raum.
Die »wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht« wurde wie der Gianozzo bereits in Berlin, in der Wohnung Ahlefeldts, geschrieben. Die kleine Dichtung ist eine der erschütterndsten Gaben Jean Pauls. Inzwischen war der Dichter in ein neues Stadium seines Lebens eingetreten. Er hatte sich mit Karoline Mayer verlobt.
In seiner Konjekturalbiographie hatte Jean Paul prophezeit: »Meine Schwiegereltern sind gewiß die Leute nicht, die mich hindern, am dritten Pfingsttage mit Ring und Kranz vor den Altar zu dringen.« Eine Brautzeit von mehreren Monaten hatte der Dichter sich immer vorbehalten, um diese köstliche Zeit nach Herzen auszukosten. Was ihn zu dem endgültigen Schritte bewogen hatte, ist nicht zu ermitteln. Noch wenige Wochen vor der Verlobung führt er die »drei herrlichen Töchter des Geheimrats Mayer« nur unter einer Menge anderer Bekannten an. Zudem wußte er, daß Karoline noch immer mit ihrem Vetter verlobt war. Diese Verlobung gab endlich den Ausschlag. Karoline schüttete zuerst ihrem Vater ihr Herz aus, der ihren Entschluß, die Verlobung mit dem ihr gleichgültigen Mann zu lösen, segnete. Darauf fragte sie Jean Paul selber, ob sie ihrer Pflicht oder ihrem Gewissen folgen solle. Dieser schrieb ihr am 30. Oktober: »So unparteiisch und kalt, als hätte ich Sie nie gesehen, will ich Ihnen die Antwort meines Gewissens geben. Sie ist: Sie dürfen sich trennen, und Ihr Herr Vater hat Recht.« Etwa zehn Tage später bewarb sich Jean Paul
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