Saemtliche Werke von Jean Paul
zerstören kann. Der Gang der Handlung ist der, daß ein Konsistorialrat Perefixe eine Liebesnacht mit der durchreisenden Ninette gefeiert hat. Perefixe heiratet seine Braut Josephine, Ninette den Berggeschworenen Traupel. Ninettes Tochter, die entzückende zarte Cara, ist also das Kind des Konsistorialrats, der in seiner Ehe einen braven und tüchtigen Sohn Wolfgang zeugt. Ninette versucht ihre Tochter Cara zu ihrem leichtsinnigen Ebenbilde heranzuziehen, aber unberührt geht das junge Mädchen durch alle Gefahren hindurch, bis es der Konsistorialrat endlich durchsetzt, daß Cara als Pflegetochter in sein Haus kommt. Wolfgang, ihr Bruder, den sie für ihren bloßen Pflegebruder hält, kommt aus dem Kriege nach Hause. Die beiden jungen Menschen verlieben sich ineinander. Perefixe muß seiner Gattin seinen lange zurückliegenden Fehltritt mit Ninette offenbaren und den Sohn mit in das Geheimnis hineinziehen. Die beiden Liebenden werden durch ihre verwandtschaftliche Blutverknüpfung grausam getrennt.
Der kleinen Geschichte, obwohl auch sie viel von dem Zauber Jean Paulscher Poesie enthält und in ihrer Menschengestaltung meisterhaft ist, fehlt doch die psychologische Vertiefung. Wenn Cara von ihrem brüderlichen Verhältnis zu Wolfgang erführe, würde sicher ihre Liebe zur reinen brüderlichen sich gewandelt haben und ein schmerzhafter Schnitt wäre nicht nötig gewesen. Man merkt dem kleinen Werk an, daß Jean Paul sich zu einer moralisierenden Tendenz zwang. Der »Anti-Titan« ragt in diese kleine Arbeit zerstörend hinein. Die glück- und menschentumfressende Sinnengier der Zeit, wie sie dem Dichter nicht nur in Weimar, sondern jetzt auch in Berlin entgegengetreten war, wollte er treffen, aber er überspannte das Einmalige eines solchen seltsamen Zusammentreffens zu einem allgemeinen Klaglied.
Auch das Gelegenheitsmäßige des »Heimlichen Klaglieds der jetzigen Männer« zeigt, daß Jean Paul sich in Weimar nicht mehr zu Hause fühlte. Wahrscheinlich meint er mit der Kleinstadt »Krähwinkel«, in der er die Geschichte spielen läßt, keinen andern Ort als Weimar selber. Kotzebue hat später diese außerordentlich glückliche Bezeichnung für eine kleine Stadt mit vielen skandalösen Aufregungen, deutlich auf Weimar zielend, von Jean Paul übernommen. Schon mit diesem Namen kehrte Jean Paul der Stadt den Rücken zu. Anfang Oktober siedelte er nach Berlin über, wo er bei Ahlefeldt in der Friedrichstraße abstieg. Sofort ergriff ihn wieder das Großstadtleben, so daß er erst nach Wochen dem Freunde in Hof von seinem Leben Nachricht geben konnte. Diesmal trat er auch zu den Gelehrtenkreisen der Residenz in Beziehungen. Und hier war es vornehmlich die Berliner Romantik, die ihn fesselte. Friedrich Schlegel bahnte ihm hier die Beziehungen. Tieck und sein Schwager Bernhardi nahmen ihn freundschaftlich auf. Zu Buri, dem großen Maler, war er schon in Weimar in enge Beziehungen getreten. Buri hatte ihn dort, wie Goethen, gemalt. Auch der Maler Genelli zog ihn an, und ebenso waren es Schleiermacher und Fichte, an denen er in Berlin nicht gut vorbei konnte, obwohl er zu diesen erst spät ein inneres Verhältnis gewann. Seinem Zusammentreffen mit Fichte, den er eben erst in seiner » Clavis Fichtiana « so hart angegriffen hatte, sahen die Berliner Gelehrtenkreise mit besonderer Spannung entgegen. Er traf den Philosophen, den er bereits in Jena flüchtig kennengelernt hatte, spät in der Nacht auf einer Gesellschaft. Im Augenblick waren die beiden Antipoden in eine stundenlange Unterhaltung verstrickt, die damit endete, daß Fichte seinen bisherigen Widersacher zu besuchen versprach. Auch im weiteren Verlauf ihrer Bekanntschaft blieben Jean Pauls Gefühle dem großen Philosophen gegenüber ein Gemisch von Abneigung und Bewunderung. Er findet Fichte »einseitig bis zur Magerkeit des Sinns«, spricht aber von seiner »Granit-Stirn und Nase, so knochig und felsern, wie die wenigen Gesichter, die alles ändern, nur nicht sich«. »Gleichwohl bleibt sein Gesicht herrlich und, wie das Rückenmark, eine Fortsetzung oder Ankündigung des Gehirns.« Unter seinen neuen Bekannten fehlten natürlich auch nicht der »berühmte Herz und dessen große gelehrte Frau«. Die berühmte Henriette aber machte auf ihn, obwohl er viel in ihrem Hause verkehrte, keinen sonderlichen Eindruck, und in einem Brief an Jacobi stellt er sie tief unter Charlotte von Kalb.
In Berlin prallte die junge Romantik noch mit der alten Aufklärung zusammen.
Weitere Kostenlose Bücher