Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
Vom Netzwerk:
Noch immer saß Nicolai mit seiner Allgemeinen deutschen Bibliothek in Berlin, als schon der Sturm und Drang über die Lande gebraust war, als die ersten Romantiker sich bereits von Goethe lösten. Der Rationalismus war das Schicksal des jungen Königreiches Preußen gewesen. Dieses östliche deutsche Kolonialland, das erst durch harte Arbeit dem deutschen Kulturkreis gewonnen war, war ja in seiner Art eine Schöpfung dieser Ratio selber. Die Bevölkerung war hier künstlich und durch Willensakt angesiedelt worden. Rationalismus war die naturgemäße Weltanschauung dieses Landstrichs, der kein Blühen und Wachsen von der Tiefe heraus kannte. Erst allmählich hatte ein künstlich hierher verpflanztes Volkstum in diesem kargen Boden Wurzeln geschlagen und wuchs nun auch seinerseits in das deutsche Bildungsleben hinein. Herder war die erste Stimme gewesen, die aus dem Osten laut die schlafengegangenen Mächte und Kräfte des deutschen Mittelalters aufrief. Er lebte das Schicksal der jungen Romantiker im voraus, die in ihrem Drang nach dem Westen plötzlich auf die Zeugen und Reste des herrlichen deutschen Mittelalters stießen und hier die Heimat ihres Geistes witterten. Überwindung des Rationalismus wurde jetzt zum Feldgeschrei der jungen Generation, und selbst Kant und Fichte, die von dem mittleren und südlichen Deutschland aus noch als letzte und grandioseste Ausläufer dieses Rationalismus erscheinen mochten, wirkten hier, in ihrer Heimat, gerade umgekehrt als Überwindung dieser Aufklärung. Darin liegt auch der tiefere Grund, weshalb es jetzt und gerade in Berlin für Jean Paul möglich wurde, zu Fichte in ein neues Verhältnis zu kommen. Tiefer als die Romantiker freilich im allgemeinen sah er die rationalistische Einstellung des Kritizismus, aber er mußte auch erkennen, daß er mit Fichte, das heißt der äußersten Zuspitzung des kantischen Denkens, ein gut Stück Weges gemeinsam gehen konnte. Er schwenkte sichtbar in die romantische Front ein, so sehr, daß eine spätere literaturgeschichtliche Betrachtungsweise ihn geradezu als zur romantischen Schule gehörig ansehen konnte.
    Und in der Tat war ja der »Titan« wirklich ein romantischer Roman. Zwar bekämpfte er die überwiegend ästhetische Einstellung auch der Romantik, aber in Jean Paul lebte ja selber ein Zug zu dieser titanischen Lebensauffassung. Er wollte einen »Anti-Titan« schreiben, aber er hatte sich doch seit Jahren unter Titanen bewegt und mit Titaniden Schicksale gehabt. Er wollte von vornherein allen diesen seinen Erlebnissen ein negatives Vorzeichen geben, aber diese Erlebnisse selbst waren dennoch tatsächlich vorhanden gewesen und nicht aus seinem Leben wegzudenken. Wenn im »Titan« die »Einkräftigkeit« Roquairols, wie er es nennt, zur äußersten Spitze und ad absurdum getrieben wurde, so war auch bei ihm diese »Einkräftigkeit« vorhanden, ja im gewissen Sinne hat er sie niemals ganz überwinden können.
    So klingen seit seiner Berührung mit der Berliner Romantik auch in seinen Schriften mehr und mehr romantische Töne an. Er lernte, die Aufklärung, in der die Wurzeln seiner Bildung ruhten, mit den Augen der jungen Romantiker sehen, und seine Satire galt jetzt nicht mehr Fichte und den übrigen Kantianern, sondern Nicolai und dem Rationalismus. Auch von hierher flossen Gedankenströme in den »Titan« hinein, an dessen zweitem Band er arbeitete. Ganz deutlich trat die neue Einstellung aber an einer Arbeit hervor, die sich in dem Berliner Winter aus den Titanplänen ablöste und Eigendasein gewann: in »Des Luftschiffers Gianozzo Seebuch«.
    Schon im »Kampanertal« hatte sich Jean Paul am Schluß der Gespräche in einer Montgolfiere über die Erdfläche in kühnem Fluge erhoben. Es berührt eigentümlich, wie er schon dort in kurzen Hinweisen alles vorwegnahm, was auch in unserer die Luft beherrschenden Zeit über die Seligkeit des Fluges je geschrieben worden ist. Als er den herrlich-phantastischen Schluß des »Kampanertals« schrieb, mag ihm der Gedanke gekommen sein, diese Flugseligkeit in größeren Partien darzustellen. Aber er beschränkte sich nicht auf die Darstellung eines für damalige Zeiten imaginären Fliegens. Er ergriff zugleich den faustischen Zug einer titanischen Zeit in seiner letzten und äußersten Zuspitzung. Erst in Berlin konnte er die dazu nötigen Eindrücke gewinnen, erst dort erhielt er Fühlung mit dem wogenden Rhythmus einer aufblühenden Großstadt, die von allen Seiten her Abenteurerexistenzen

Weitere Kostenlose Bücher