Saemtliche Werke von Jean Paul
welchem Ziel er seinen Helden Albano hinlenkte. Von Karoline gingen viele Züge in das Bild Idoines ein. Oder sah er seine Frau nur so wie sie ihm für das Werk notwendig erschien? Lange Monate jedenfalls lebte er verzaubert in dem Hörselberg seiner jungen Ehe, ehe die ersten Stoßseufzer des Ehemannes kundwurden. Aber länger als einige Monate hat es nicht gedauert, daß er die Ehe als die große Erfüllung seines Daseins ansah. Und doch sah er endgültig ein, daß diese Ehe ihm notwendig war. Sie setzte seinem schweifenden Hang in die Ferne ein Ende. Die Triebe der Simultanliebe verkümmerten und wurden besonnener ins Werk hineingeleitet. Noch einmal setzte mit den Ehejahren in Meiningen eine neue große Epoche seiner Schaffenskraft ein. Und doch fühlt man, und fühlte in erster Linie Jean Paul selbst, daß mit dem erreichten Ziele etwas in ihm zu Ende gelaufen war. Je gedrängter und gedichteter der Strom seines Schaffens nun dahinfloß, um so mehr erlosch die glänzende Kraft seiner Persönlichkeit. Das Werk zehrte den Menschen auf. In vollen Wagen war noch eine unermeßlich reiche Ernte einzubringen, aber keine neue Saat mehr sproßte auf den neu geackerten Feldern.
Die ersten Jahre standen noch unter dem Zeichen des »Titan«, von dem kaum die Hälfte unter Dach gebracht war, als der junge Ehemann in der neuen Meininger Wohnung sich an den Schreibtisch setzte. Manche Eindrücke konnten in dem Werk noch verwertet werden. Zum erstenmal wurde er in der neuen Stadt mit einem regierenden Haupte eng befreundet. Herzog Georg errang sich erst allmählich die Sympathie des Dichters, dann aber verband die beiden eine Freundschaft, die Jean Paul wie den Herzog aufs höchste ehrte. Jedes steife Hofzeremoniell war geschwunden. Jean Paul verkehrte auf dem Schloß wie bei einer befreundeten Familie, und der Herzog selbst besuchte ihn und nahm sogar einmal sein Mittagessen bei ihm ein. Der in den letzten Bänden des »Titan« auftauchende Prinzengarten ist wohl der gewöhnliche Sommeraufenthalt des Herzogs, das Schloß Liebenstein. Und die Bühne, auf der Roquairol seinen »Trauerspieler« aufführt, ist wohl die Liebhaberbühne in Meiningen, deren Leitung sich der Herzog selbst vorbehielt, als echter Vorfahr seines Enkels, der in der Entwickelung des deutschen Theaters Epoche machen sollte, und auf der er sogar gelegentlich selbst auftrat. Das schöne Verhältnis zwischen Herzog und Dichter wird wohl am besten durch die sogenannte »Hunde-Supplik« charakterisiert.
Seit der Übersiedlung nach Meiningen hielt sich Jean Paul einen Spitzhund, der von da ab zu den von ihm unzertrennlichen Suffixen seiner Person gehörte. Man kann sich heute Jean Paul ohne seinen Spitz nicht mehr vorstellen. Mit dem Hund an der Seite machte er seine gewohnten Spaziergänge nach Welkershausen oder Grimmenthal, und von dem Spitz war er begleitet, wenn er einige Jahre später seine täglichen Gänge zu der durch ihn weltberühmt gewordenen Rollwenzlei bei Baireuth machte. So bildete sich erst jetzt die Gestalt aus, in der Jean Paul sich dem Bewußtsein der kommenden Zeit einprägen sollte.
Auch von andern Seiten erhielt der »Titan« noch Zustrom. Schon in Berlin war der die ganze Welt bereisende Rumäne Cosmeli dem Dichter nähergetreten. Diese moderne Abenteurergestalt hat offenbar manches zu der Figur des Gianozzo beigetragen. In Meiningen tauchte Cosmeli, aus Holland und Frankreich kommend, bei Jean Paul wieder auf. »Sein Toben lösete sich bei mir ins Weinen auf; ich liebe ihn sehr durch diesen Vulkanrauch hindurch«, schrieb Jean Paul über den exzentrischen Gast. Aber noch ein anderer Freund kam gerade zur rechten Zeit, um noch einige Züge in den letzten Teil des »Titan« hineinzugeben: Jean Pauls schwärmerischer Verehrer seit seiner Leipziger Zeit, der Philologe und Violinist Thierot, mit dem der Briefwechsel nie eingeschlafen war. Trotz aller Wertschätzung rechnete Jean Paul auch ihn zu den Roquairolnaturen, die, wie er über Thierot schrieb, »durch eine zu frühe Saturation mit Wissen eigentlich kein Bedürfnis des Wissens kannten und das Sein mehr des Scheins wegen verlangen«. Gerade zu den letzten Partien des »Titan«, in denen Roquairols »Trauerspieler« im Mittelpunkt steht, mußte dem Dichter noch mancher Zug des vergeblich gegen seine Virtuoseneitelkeit ankämpfenden Thierot willkommen sein. Aber dieser Freund spannte auch bereits die Brücke zu dem neuen Roman, der immer mehr in den Vordergrund trat: den
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