Saemtliche Werke von Jean Paul
Kopfes zum Beispiel soll wachsen. Hier ist jeder Anlage, die nach Betätigung drängt, nur Stoff zuzuführen, und niemals zuviel. Wenn jemand ein Maler werden will, steht etwa zu fürchten, daß er ein zu großer Maler werden würde? Aber die Individualität des Herzens muß gebeugt oder gelenkt werden. Jede Kraft zwar sei heilig, und keine dürfe beschnitten werden, aber jeder Einzelkraft sei eine Gegenkraft zu erwecken, die sie in das richtige Gleichgewicht bringe. Zu unterscheiden sei zwischen Wollkraft und Begehrkraft. Es gäbe in unserm Zeitalter fast nur noch Begehrkräfte. Die Wollkraft aber müsse in erster Linie entwickelt werden. Das heimliche Ideal, das jedem jungen Menschen von seiner Zukunft innewohne, müsse belebt und gefördert werden. Gerade hier sei die Wollkraft zu stärken. Aus ihr entfalte sich dann schließlich die Kraft der Liebe und der Religion.
Liebe und Religion, auf diese beiden Grundkräfte der Seele ist die Erziehung vor allem zugeschnitten. In jedem Kinde wohne ein starkes metaphysisches Verlangen. Aber nicht äußerlich solle die Religion dem Kinde nahegebracht werden. Zu vermeiden sei alles, was Unlust dagegen erwecken könne, zum Beispiel ein laut gesprochenes Tischgebet. Die große Rolle, die der Einsegungstag bei den Kindern spiele, sei auszunutzen. Hier, wie überall, schöpft Jean Paul aus der Erfahrung seiner eigenen Kindheit. Wie früh lagen bei ihm die entscheidenden Erlebnisse, die sich nach seiner skeptischen Periode wieder in sein Bewußtsein hineindrängten! Es scheint, als wenn die ersten Kindheitseindrücke lebenslang in ihm lebendig waren, so genau vermag er sich in die Kinderseele hineinzuversetzen. Das ist das Wichtigste in dieser Schrift: daß diese Erziehungslehre fast vom Standpunkt des Kindes aus geschrieben erscheint; jedenfalls mit einer minutiösen Kenntnis des Kindes. Wie modern mutet es an, was er über Spielzeug schreibt! Das beste Spielzeug ist eines, das die kindliche Phantasie vor Aufgaben stellt, zum Beispiel Sand oder ein Stück Holz. Die künstlichen und kostbaren Spielzeuge sättigen die Phantasie, statt sie anzuregen, und ertöten diese lebendigmachende Kraft.
Bedeutsam ist auch jener Abschnitt, der von dem Beginn der Erziehung handelt. »Die Erziehung beginnt beim ersten Athemzug des Kindes, nicht früher.« Damit werden alle Beeinflussungen im Mutterleibe zurückgewiesen. Mutter und Kind sind während der Tragmonate nur durch Blut, nicht durch Nervenverwandtschaft miteinander verbunden. Vor jeder übernatürlichen Beschleunigung der Entwicklung wird gewarnt. Keine künstliche Gymnastik erwecke allzufrüh die Sinne. Man hüte sich aber auch davor, die Kinder zu erschrecken und ihre Phantasie mit Schreckgestalten zu erregen, etwa durch den schwarzen Mann oder den Knecht Ruprecht. Denn »alle Schrecken der Kindheit kommen im Traum wieder, die Entzückungen im späteren Wachen«. Die Lebensfreude also soll gesteigert werden, aber man verwechsle nicht Freudigkeit mit Genuß. Die Spiele teilt Jean Paul ein in Spiele der lernenden Kraft, bei denen mechanische und akustische Erscheinungen im Vordergrund stehen. In Spiele der gestaltenden Kraft, also die richtigen Kinderspiele, bei denen Phantasie in Erscheinung umgesetzt wird. Und in Spiele der Passivität, bei denen das Kind »bezüglich Gestalt und Ton nimmt und gibt«. Zu diesen Spielen, die das Kind mit sich allein unternimmt, treten die Spiele mit Sachen. Diese Sachen sollen immer die Phantasie anregen, nicht einengen. Die Bilderbücher etwa enthalten Geschichten und Handlungen, nicht bloß einzelne Tiere, mit denen das Kind nichts anfangen kann. Die eigentliche Lebenspraxis beginnt auf dem Spielplatz. Diese erste Gesellschaft von Kindern könne gar nicht ernst genug genommen werden. Hier bilde sich der junge Charakter am ersten aus. Zu entfernen sei jedes Nachäffen der Erwachsenen. Kinderbälle zum Beispiel seien eine Angelegenheit des Teufels, aber kindliche Tänze seien zu pflegen. Eines der wichtigsten Erziehungsmittel sei die Musik. Im Singen seien die Kinder früh zu üben.
Die Regeln über Strafen und die Art, zu befehlen, sind ungemein instruktiv. Jean Paul verbietet das Fortzürnen nach der Strafe, so sehr er Entschiedenheit im Befehlen verlangt. Das Ge- und Verbieten sei kurz und entschieden und sei niemals mit Gründen verbunden. Das Kind solle nicht einsehen, sondern gehorchen lernen.
Das zweite Bändchen gibt die Anleitungen zur physischen Erziehung. Als Hausbuch war ja die ganze
Weitere Kostenlose Bücher