Saemtliche Werke von Jean Paul
ist falsch, wenn man den inneren Aufbau Preußens mit Kants kategorischem Imperativ in Verbindung bringt. Herder und Jean Paul waren die treibenden Kräfte hinter den Reformen, die den Geist der Freiheitskriege entzündeten, und gerade die »Levana« trug in Tausenden von Exemplaren diesen Geist eines vaterländischen Ideals in die deutschen Häuser. Man hat, wie so vieles, diese Wirkung der »Levana« vergessen. Von ihr erst brach neues Leben in die Romantik ein und führte sie aus mittelalterlichen Träumen in die deutsche Wirklichkeit zurück.
Flegeljahr e
Mit der metaphysischen Grundlegung des Humors im zweiten Teil der »Vorschule der Ästhetik« war Jean Paul bereits in jene Welt geraten, die seine ersten Schaffensjahre erfüllt hatte und der er sich jetzt auf der Höhe seiner Schaffenskraft noch einmal mit Wollust näherte. In dem Roman »Notarius Gottwalt« oder »Notarius Blitz« oder, wie dann als endgültiger Titel festgesetzt wurde: »Flegeljahre« wollte er Wuz, Fixlein und Siebenkäs vereinigen und übertreffen. Selbst im »Titan« hatte er sich idyllischer Beimischungen nicht völlig entschlagen. Die Jugendgeschichte Albanos hätte getrost in einem idyllischen Roman ihren Platz finden können. War nun die Idylle, auf die Jean Paul immer wieder zurückgriff, vielleicht doch seine eigentliche Welt? Sicher in dem Sinne, daß ihm hier am leichtesten Stoff zuströmte. Ein Jahrzehnt hatte er sich in der großen Welt bewegen müssen, ehe ihm die Lebensatmosphäre des »Titan« geläufig genug war, um sie ins Werk bannen zu können. Und doch war Jean Paul weit mehr als ein bloßer Idylliker. Die entsprechenden Ausführungen in der »Vorschule« zeigen, welche höheren, metaphysischen Welten er am kurzen Hebelarm der Idylle bewegte. Nicht auf ein bloßes Nachmalen der »Schlachtfelder des Lebens« wollte er sich beschränken lassen. Er sprach es deutlich aus, welche großen Tendenzen er mit seiner Idyllendichtung verfolgte: »Wenn hingegen der Genius uns über die ›Schlachtfelder des Lebens‹ führt: so sehen wir so frei hinüber, als wenn der Ruhm oder die Vaterlandsliebe vorausginge mit den zurückflatternden Fahnen; und neben ihm gewinnt die Dürftigkeit wie vor einem Paar Liebenden eine arkadische Gestalt.« Diese arkadische Verklärung des irdischen Kampfschauplatzes, darauf kam es ihm an. Er wollte nicht in der Genremalerei steckenbleiben, sondern die irdischen Bezirke hochreißen in das verklärte Licht der höheren Weltschau, daß die Bäume am Wasser, wie er es in der Vorschule ausdrückt, aus einer Wurzel in zwei Himmel wachsen.
Durch welche Welten war er hindurchgegangen, ehe er sich in den »Flegeljahren« nun wieder den ersten Stoffen zuwandte, die ihn erschüttert hatten! Mit dem Geist der Zeit hatte er sich auseinandergesetzt, die zeitgenössische Dichtung und Philosophie vor sein Forum gezogen. Durch das Bildungsgut einer ganzen Welt hatte er sich hindurchgefressen, sich in die heroischen Bezirke des Titanentums erhoben. Wie hatte er sich in die ihm eigene Welt zurückgesehnt! Schon mitten in der Arbeit am »Titan« waren seine Gedanken in den Plan der »Flegeljahre« ausgewichen. Noch vor seiner Heirat hatte er mit den Studienbüchern zu diesem Roman begonnen in dem sicheren Gefühl, daß Karoline ihn aus der Titanenwelt wieder in die Welt des Bürgers zurückführen würde. Mit eiserner Willensanstrengung hatte er die Arbeit am »Titan« erst zu Ende geführt, dann, als er beglückt die »Flegeljahre« von neuem begonnen, noch einmal die Idylle unterbrochen, um in der »Vorschule der Ästhetik« seine Waffen zu überprüfen. Erst als im August 1804 das theoretische Werk vollendet war, hatte er die »Flegeljahre« beendet, sein Werk zu seinem zweiten Pole rundend und ausfüllend.
Mit den »Flegeljahren« kehrte Jean Paul zu seinen »Maria Wuz«, »Quintus Fixlein« und »Siebenkäs« zurück. Aber der Weg, den er seitdem zurückgelegt hatte, hinterließ doch zahlreiche Spuren. In jenen früheren Werken hatte es sich um Probleme des reinen »Daseins« gehandelt. Von Bildungserlebnissen war diese Welt frei gewesen. Aber die »Flegeljahre«, so sehr sie sich im reinen Dasein bewegten und es künstlerisch erschöpften, enthalten doch auch ein Problem, das über das reine Dasein hinausragt. Wie im »Titan« in den einzelnen Gestalten Vertreter zeitgenössischer Weltanschauungen aufgetreten waren, so bargen auch Walt und Vult, die beiden Helden der »Flegeljahre«,
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