Saemtliche Werke von Jean Paul
Pedanterie des Dichters in kleinen Haushaltsfragen, unter der Karoline nicht wenig gelitten hat, finden wir auch bei dem Feldprediger wieder.
Wie lose aber auch Jean Paul im übrigen mit seinem Helden Schmelzle verbunden sein mochte, sich selbst und dem Volke hatte er in jedem Fall die Hinneigung zum panischen Schrecken von der Seele zu schreiben, einen lastenden Druck in helles Gelächter aufzulösen. So mußte er in Schmelzle diese Furcht zur äußersten Größe aufpeitschen, mußte einen Virtuosen des Entsetzens aus ihm machen. Einen, der schon vor Angst schlottert, wenn sein Pferd »im Schritt« mit ihm »durchgeht«. Abwehrmaßregeln, ins Grandiose gesteigert, mußte er dem Helden an die Hand geben, daß sie wie bewehrte Mauern noch die Größe jeder auch nur möglichen Gefahr gigantisch überstiegen. Diese Einstellung zu den Gefahren des Lebens mußte selbst über die bloße Furcht noch hinausragen. Hier mußte schlotternde Angst zu einem fast heldischen Verzweiflungskampf gegen die Gefahr werden, mit wankenden Knien aber mit einem Feuergeist fast geführt. Diese Einstellung gibt dem Gebaren Schmelzles den metaphysischen Hintergrund. Sie erklärt die Notwendigkeit, sich in Furcht und Abwehr zu überschlagen. Auf die kürzeste Formel gebracht ist sie in jener burlesken Szene im Postwagen, da Schmelzle sich aus Furcht vor dem Gewitter zu fürchten fürchtet, da der Angstschweiß den Blitz auf sich ziehen könnte.
Man hat es für einen besonders feinen Zug der kleinen Dichtung erklärt, daß Schmelzle vor seiner Frau nicht als Pantoffelheld dasteht, sondern als Tyrann. Wie aber sollte es anders sein! Ein Pantoffelheld ist unsicher in sich und beugt sich dem stärkeren Willen und der überlegenen moralischen Macht. Schmelzle aber ist ein Heros der Furcht und erfüllt die Atmosphäre mit seinem Heroenkampf gegen die Gefahr. Er kann niemandem unterliegen, und schreiendes Entsetzen wird immer noch zur Bestätigung seines eigenen Wesens. Die Pedanterie seiner Abwehrmaßregeln – denen ähnlich, die ein Schriftsteller zur Schonung seiner Nerven um sich aufrichtet – ist von bezwingender Gewalt. »Bergelchen« beugt sich ihnen, ohne nach dem Rechtsgrund seiner Tyrannenmacht zu fragen.
Im »Rektor Fälbel« war die Stimmung durch Zwischenbemerkungen des Dichters unterbrochen. Neben dem Schulgewaltigen stand als hilfloses Opfertier Kordula, seine Tochter. In die Sphäre des bornierten Pedanten ragte sie als eine andere Welt hinein und gab dem Autor Gelegenheit zu seinen ergreifenden Ausbrüchen über das weibliche Herz und Schicksal. Vielleicht pulst in solchen Ausbrüchen echter und voller das Blut Jean Pauls, künstlerisch reiner ist die Geschlossenheit des »Schmelzle«, die alle Gegensätze auf eine Ebene bringt und auch die unverfälschte Weiblichkeit Teutobergas, ohne ihr an Frische und Selbständigkeit zu nehmen, der Welt des Tyrannen stimmungsrein einfügt. In den anderthalb Jahrzehnten seit »Fälbels Reise« hatte sich das Weltbild Jean Pauls gerundet. Jetzt bedurfte er nicht mehr des lyrischen Ausbruchs, um sich auszudrücken. Mit wenigen Strichen zeichnet er seine Personen – so den trefflichen Schwager Dragoner –, daß sie voll in der epischen Komposition stehen und ausdrucksgewaltig sind ohne Lyrismen.
Jean Paul wendet seine ganze ungeheure Belesenheit an, um durch die Feder Schmelzles aus dem Weltraum ein System von Gefahren und Abwehrmaßregeln aufzustellen. Die Einfälle überstürzen sich. Noch zum Schluß, als jeder Gefahr begegnet zu sein scheint, taucht die furchtbarste von allen auf: daß durch ein zufälliges chemisches Experiment die Erdatmosphäre zersetzt wird. Auf diese erhebende Aussicht sind alle Nöte Schmelzles hingetürmt. Unentrinnbar steigt hier die größte aller möglichen Gefahren auf. Aber wir ahnen es: er wird auch mit ihr den Gigantenkampf aufnehmen.
Nach dem »Schmelzle« kehrte Jean Paul nicht sogleich wieder zum »Leben Fibels« zurück. Dieser Vorwurf war inzwischen an Bedeutung und Tiefe gewachsen und verschmolz ihm zum Plan einer großangelegten Selbstbiographie. In diesen Zeiten des Übergangs und der Zerrissenheit vermied er es, sich in sich selber zu vertiefen. Er zog es vor, außerhalb des eigenen Seins liegende Gestalten zu beschwören, auch wenn er im Verkehr mit ihnen das eigene Sein immer wieder aufstörte. Fast unmittelbar nach der Reise des Feldpredigers begann er im August 1807 jenen humoristischen Roman, der noch heute zu Jean Pauls bezeichnendsten Werken
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