Saemtliche Werke von Jean Paul
gehört: »Dr. Katzenbergers Badereise«. »Friedenspredigt« und »Dämmerungen« waren vorausgegangen. Im »Katzenberger« löste sich Jean Paul vollkommen von der Welt seiner Ideale, riß sich von jeder Einwirkung auf die politische Wirklichkeit los. Wir treffen deshalb in diesem Roman nicht sein flammendes Herz an. Ja noch mehr: hier ist jeder Sentimentalität, ja jedem Gefühl überhaupt der Krieg erklärt.
Noch einmal wird eine Welt in ihrer Totalität gegeben. Aber jede Hülle vergoldender Phantasie ist von den Dingen weggerissen. Die Kehrseite, die unverhüllte Realität offenbart sich. Ein Zyniker, ein Virtuose des Zynismus, ist der Held. Ein Dichter wird mit allen halben Lastern und Eitelkeiten seines Standes überhäuft gezeigt. Die sentimentale Schwärmerei eines jungen Mädchens erleidet an der Wirklichkeit kläglichsten Schiffbruch. Ein simpler Offizier, Mathematiker und gut gewachsen, trägt den Preis der Liebe davon, durch kräftige Gestalt und simple Treuherzigkeit über den berühmten Dichter triumphierend. Genie, Ruhm, Seele – alles das sinkt zurück, wird einfach lächerlich vor einem guten Brustkasten und einer gutsitzenden Uniform. Eigentlich ist es unerhört von dem Offizier, auf Grund eines ziemlich plumpen Mißverständnisses in die Vorlesung des Dichters Theudobach einzudringen. Ist Dummheit und Arroganz. Was aber tut’s! Er macht die bessere Figur, und das sehnsüchtige Mädchenherz fliegt ihm zu und nicht dem bis dahin angebeteten Idol des großen Dichters. Die Welt Jean Pauls erscheint hier in umgekehrter Gestalt. Gustav, Viktor, Albano, sie alle waren Dichter oder standen doch dem Dichterischen nahe und siegten durch die Macht ihrer Poetenseele. Noch die »Flegeljahre« waren der Triumph des reinen Gemüts über das Raffinement. Hier aber siegt nicht etwa ein Vult über einen Walt, sondern irgendein hergelaufener Offizier über einen berühmten Dichter, dem die Welt anbetend zu Füßen liegt. Alles ist umgekehrt.
Dr. Katzenberger, berühmter Chirurg und Universitätslehrer, reist mit seiner Tochter Theoda nach dem Badeort Maulbronn, aber nicht um zu baden, sondern um den Badearzt Dr. Strykius für seine unverschämten Rezensionen seiner, des Dr. Katzenbergers, Bücher zu verprügeln. Dr. Katzenberger spricht klar und deutlich seine Absichten aus. Es gibt nichts, was er nicht ausspricht. Jede Delikatesse, jeder Ekel ist ihm fremd. Er streicht reife Spinnen auf seine Buttersemmeln und verzehrt sie. Er freut sich über jede Leiche am Galgen und über jeden Hund, den er vivisezieren kann. Den Nachbarskindern schickt er als Delikatesse einen Pfefferkuchen, den er als Pflaster auf seinem Magen getragen. Seine Leidenschaft gehört den Mißgeburten. An ihnen glaubt er die Gesetze der Vollkommenheit am deutlichsten erfassen zu können. Für eine möglichst ekelhafte Mißgeburt würde er seine Seele hingeben. Eigentlich bedauert er es, daß seine Tochter nicht als Mißgeburt auf die Welt gekommen ist. Eine Haupteigenschaft seines Charakters ist sein ganz unverblümter und in seiner ganzen Schmutzigkeit zur Schau getragener Geiz. Theoda darf nur bei schlechtem Wetter Einladungen ergehen lassen, damit die Gäste nicht kommen können. Um Briefporto zu ersparen, erfindet er die unmöglichsten Gelegenheiten. Auf seiner Reise nach Maulbronn weiß er es so einzurichten, daß der mitgenommene Reisegefährte alles bezahlen muß.
Mit dem Inserat, das Katzenberger aufgibt, um einen solchen Reisegefährten für seine Tour nach Maulbronn zu finden, hebt die Geschichte an. Daß sich in der Universitätsstadt kein Mensch finden wird, der bereit ist, mit ihm unter dem Kutschenhimmel einige Tage zuzubringen, ist dem Zyniker natürlich bekannt. Aber er hofft auf die Dummheit irgendeines Durchreisenden. Und wirklich meldet sich ein Herr v. Nieß, der bereit ist, sich mit dem Professor in den Wagen zu teilen. Mit Herrn v. Nieß hat es aber eine besondere Bewandtnis. Er ist nämlich der berühmte Dichter Theudobach, der sich von Zeit zu Zeit seines wirklichen Namens als eines undurchsichtigen Pseudonyms bedient, um Abenteuer zu erleben. An den großen Theudobach hat Theoda einen Brief geschrieben, und der Dichter hat geantwortet, daß er selbst den Sommer in Maulbronn verbringen werde. Theoda ist überglücklich und erwartet von Maulbronn das große Erlebnis ihres Lebens. Theudobach ist von ihrem Brief entzückt. Er beschließt, sich dem hübschen und reichen Mädchen bereits vor dem Badeort zu nähern, und
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