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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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Hundpostta g
     
    Viktors Krankenbesuche – über töchtervolle Häuser – die zwei Narren – das Karussell
    Folgende Anmerkung kömmt nicht aus dem Tornister des Hundes, sondern aus meinem eignen Kopf: man braucht kein Lobredner unserer Zeiten zu sein, um mit Vergnügen zu sehen, daß jetzt Autoren, Fürsten, Weiber und andere die unähnlichen falschen Larven der Tugend (z. B. Bigotterie, Pietismus, zeremonielles Betragen) meistens abgelegt, und dafür den echten geschmackvollen Schein der Tugend gänzlich angenommen haben. Diese Veredelung unserer Charaktermasken, wodurch wir das Äußere der Tugend schöner treffen, ist mit einer ähnlichen des Theaters gleichzeitig, auf dem man nicht mehr wie sonst mit papiernen Kleidern und unechten Tressen, sondern mit echten agiert und tragiert. –
    »Sie wurden schon gestern von der Fürstin verlangt«, sagte der Fürst zum Hofmedikus, da er mit seinem ausgeleerten Gesicht kaum eingetreten war. Die Augenentzündung Agnolas hatte durch das Herbstwetter, durch die Nachtfeste, durch Kuhlpeppers tapfere Hand und durch ihre eigne – denn die roten Titelbuchstaben der Schönheit, nämlich geschminkte Wangen, wurden immer neu aufgelegt – sehr zugenommen. Eigentlich war Viktor zu stolz, um sich als einen bloßen Arzt begehren zu lassen; ja er war zu stolz, um an sich etwas anders (und wär’s Philosophie oder Schönheit) suchen zu lassen als seinen Charakter; denn sein Vater, der ebenso zartstolz war, hatte ihn gelehrt: man muß keinem dienen, der uns nicht achtet, oder den man selber nicht achtet, ja man muß von keinem eine Gefälligkeit annehmen, dem man nur einen äußerlichen, aber keinen innerlichen Dank zu sagen vermag. Aber dieses zarte Ehrgefühl, das nie mit seinem Eigennutze, wohl aber mit seiner Menschenliebe in ungleiche Treffen kam, konnte ihm seine Hände nicht binden, womit er einer unglücklichen Fürstin – unglücklich, wie er, durch Darben an Liebe – wenigstens die Schmerzen der Augen nehmen konnte; vielleicht auch jüngere Schmerzen: denn seine Gutmütigkeit gab ihm lauter Versöhnungen ein, des Fürsten mit Le Baut, mit der Fürstin, mit dem Minister. Nichts ist gefährlicher, als zwei Menschen auszusöhnen – man müßte denn der eine selber sein; sie zu entzweien, ist viel sicherer und leichter.
    Er fand Agnola nachmittags noch im Schlafzimmer, weil dessen grüne Tapeten (zwar nicht dem Gesichte, aber) dem heißen Auge schmeichelten. Ein dichter Schleier über dem Gesichte war ihr Taglichtschirm. Als sie, wie eine Sonne, ihren Schleier aufschlug: so begriff er nicht, wie er in Tostatos Bude aus diesem italienischen Feuer und aus diesen schnellen Hofaugen ein verweintes Blondinengesicht machen können. Ein Teil dieses Feuers gehörte freilich der Krankheit an. Ihr erstes Wort war ein entschlossener Ungehorsam auf sein erstes; indessen stieß sie damit die Herren Pringle und Schmucker so gut vor den Kopf wie ihn; denn das ganze dreieinige collegium medicum riet ihr – Blutigel um die Augen; aber diese ekelten sie. Der Medikus rückte mit Schröpfköpfen am Hinterhaupte heraus; aber ihre Haare waren ihr lieber als ihre Augen. »Muß man denn alles mit Blut erkaufen?« sagte sie mit italienischer Lebhaftigkeit. – »Die Reiche und Religionen solltens nicht werden, aber doch die Gesundheit«, sagt’ er englisch frei. Er foderte noch einmal ihr Blut – aber sie gab es ihm erst, da er das Opfermesser änderte und ihr am Auge eine Aderlaß vorschlug. Personen von Stande wissen, wie Gelehrte, oft die gemeinsten Dinge nicht: sie dachte, der Doktor werde die Ader öffnen. Und weil sie es dachte: tat ers auch, mit seiner durchs Starstechen geübten Hand.
    Inzwischen ist – wenn (nach dem Plinius) ein Kuß aufs Auge einer auf die Seele ist – eine Aderlaß darauf kein Spaß: sondern man kann, indem man eine Wunde macht, selber eine holen. Der arme Hofmedikus muß mit seinem schwimmenden freundlichen Auge, von dem vor wenigen Tagen die Träne der Liebe abgetrocknet wurde, kühn in die in eine Augenhöhle gesperrte Sonne schauen und noch obendrein sanft mit dem Finger am warmen Gesicht anliegen und aus der Quelle der Tränen helles Blut vorritzen…. Schon eh’ man eine solche Operation unternähme, sollte man eine ähnliche an sich vollziehen lassen – der Kühlung wegen. Im Grunde hatte auch ihm das Schicksal diese Woche nichts gegeben als Lanzetten-Schnitte in seine Herzschlagader. Stellet man sich noch vor, daß ihm das ganze weibliche Geschlecht

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