Saemtliche Werke von Jean Paul
und humoristischen Schaffens zurückgezogen hatte. Dadurch erklärt sich der beispiellose Enthusiasmus, den seine Erscheinung von jetzt ab überall erweckte. Die größten Ehrungen waren dem Dichter des Hesperus gebracht worden, jetzt aber steigerte sich die Begeisterung, mit der die einzelnen deutschen Städte ihn aufnahmen, von Jahr zu Jahr.
Seine eigene Stimmung, die ihn mehr und mehr befiel, stand zu diesen Ehrungen in einem merkwürdigen Kontrast. »Ich habe meine Sache getan und geschrieben,« schreibt er schon 1806, »und da das Beste von mir vollendet ist, so kann mir’s gleichgültig sein, was ich noch auf der Erde zu tun haben soll.« Immer mehr nimmt eine melancholische Reizbarkeit von ihm Besitz. Musik kann er nicht mehr hören, ohne zu Tränen erschüttert zu werden. Gerade da er in seinem Schaffen jede Sentimentalität überwunden hat, überwältigt sie ihn im Leben. »Ich könnte keine pathetische Rede halten, weil mir die Tränen die Stimme erstickten«, sagt er einige Jahre später. Er fühlte sich am Ende, und doch sollte er noch einige Jahre lang am Born des Lebens mit vollen Zügen trinken.
Jean Paul stand in diesen Jahren verhängnisvoll zwischen einer absterbenden und einer aufstrebenden Zeit. Tod und Unglück lichteten unter seinen Bekannten und Freunden. Mit Herder war ihm der liebste dahingesunken. Mit altem Enthusiasmus stand Karoline Herder noch zu ihm, und wie Prophetenruf klingt es aus dem letzten Brief, den die auch bereits dem Tode Verfallene ihm zum 56. Geburtstag schrieb: ». . . aber die Menschen werden erwachen und nach der Wirkung des Dichters auf Geist, Herz und Charakter fragen. Jetzt sind Goethe und Schiller an der Tagesordnung des lauten Publikums – Richter und Herder haben die stille Gemeinde – aber desto inniger, liebender, dauernder.« Ein halbes Jahr später lag auch sie unter der Erde, die treue Gefährtin ihres unglücklichen Gatten.
Aber fast noch trauriger war das Schicksal der ehemaligen »Titanide« Charlotte von Kalb. Schon Anfang des Jahrhunderts brach das wahrhaft fürstliche Vermögen dieser Frau zusammen. Jetzt kam sie auf ihren alten Plan zurück, eine Erziehungsanstalt zu errichten, um dadurch ihr Leben zu fristen. Jean Paul konnte sie zu seinem Leidwesen bei diesem Vorhaben nur wenig unterstützen. Die zerrütteten Vermögensverhältnisse trieben ihren Mann zum Selbstmord. Mit selbstgearbeiteten Handarbeiten hielt sich die Freundin und Gönnerin dreier großer Dichter über Wasser. Ihr Augenlicht nahm beängstigend ab. Noch einmal lebte sie auf, als die Befreiungskriege begannen. Ihr einziger Sohn August zog als Leutnant in den Krieg, aus dem er glücklich nach Hause kommen sollte. Aber nur zu einem von düsterer Melancholie verhangenen Leben, dem er zehn Jahre später wie der Vater durch Selbstmord ein Ende machte. Im Mai 1816 weilte sie einige Monate auf ihrem alten Gut Kalbsrieth, das ihr, wenn auch überschuldet, bis dahin geblieben war. Mit Wehmut durchwandelte sie die Auen, wo sie, wie sie an Jean Paul schrieb, vor achtzehn Jahren am Kampanertal, dem »Hesperus« sich erfreute, wo sie seine Briefe mit Sehnsucht erwartet, mit Innigkeit beantwortet hatte.
Eine tiefe Enttäuschung bereitete ihm auch die persönliche Bekanntschaft mit dem alten Freunde und Mitstreiter Friedrich Jacobi, die er endlich
1812 in
Nürnberg auf einer Reise machte. Das erste Sehen allerdings ließ sich günstig an. Sie hatten sich in ihren Wohnungen gegenseitig verfehlt. »Um 11 Uhr aber hatte ich ihn an meiner Brust. Ich hielt einen alten Bruder und Bekannten meiner Sehnsucht im Arme. Kein Weltmann – außer im schönsten Sinne – der stille, edle Alte! Mir war, als säh’ ich ihn bloß wieder. Überall Zusammenpassen – sogar seine Schwestern gefielen mir.« Aber bald sollte sich eine gegenseitige Fremdheit herausstellen. Vielleicht hatte Jean Paul die Erwartungen zu hoch gespannt. Er hatte gehofft, daß der Verfasser des »Woldemar« ihm ein zweiter Herder sein würde. Aber dem alternden Jacobi fehlte dazu der Sinn für Humor. Er brachte kein Verständnis auf für »das Ding in mir, das wider seinen Wunsch den Katzenberger und Fibel geschrieben«. Jacobi redete, wie Jean Paul klagt, nur von sich, von seinen Arbeiten, seinen Freunden, ohne eine Frage nach Jean Pauls Leben zu tun. So sah sich der Dichter mit seinem Drang, einem Freund sein Inneres zu eröffnen, wieder auf sich selbst zurückgewiesen.
Nicht viel glücklicher verlief eine Zusammenkunft mit
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