Saemtliche Werke von Jean Paul
Lied.
Jean Paul wartet, bis der Alte alle zwölf Verse seines Liedes ausgesungen hat. Nach dem zwölften Vers zieht er langsam und in Gedanken seine Straße weiter. –
Man hat an der Dichtung getadelt, daß weder die Satire noch das Dichterische rein durchgehalten sind, und in der Tat wird man im »Leben Fibels« nicht die straffe Durcharbeitung des »Dr. Katzenberger« etwa finden. Man tut aber dem Buche Unrecht, es mit dieser glänzenden und rein humoristischen Charakterstudie auf eine Formel bringen zu wollen. Das »Leben Fibels« ist ein Bekenntnisbuch des Dichters aus einer Zeit, da sich sein Leben schon reißend bergab senkte. Wir bemerkten schon, daß er neben dieser Dichtung beständig an eine Selbstbiographie dachte, von der er dann später nur die Jahre seiner Kindheit geschrieben hat. Die eigene idyllische Jugend hat er hier mit den Farben eines großen Dichters gemalt, noch einmal sein Hervortreten in die Welt des Ruhmes beschworen, mit ätzender Satire die eigene Autoreneitelkeit in seinem Herzen ausgebrannt und den Helden den Frieden des Alters finden lassen. Gewiß ist Jean Paul nicht Fibel selber, wie er ja auch nicht der Dichter Theudobach war. Aber dennoch ist es auffällig, daß diese beiden Gestalten als Verkörperungen der Schriftstellereitelkeit so dicht nebeneinanderstehen. Es war eine Abrechnung, die hier der Dichter mit sich selber hielt, und wenn er in Theudobach wie in Fibel nur grotesk verzerrte Bilder der eigenen Person und der eigenen Leistung gab, so ist das nur ein Zug seiner verehrungswürdigen Bescheidenheit und des ganzen Ernstes, mit dem er sein bisheriges Leben unter die Lupe nahm. Er hatte mit dem Leben abgeschlossen, seit die Entwicklung so ganz anders verlief, als worum er gekämpft hatte. Wohl mochte er damals Stunden haben, in denen ihm sein ganzes Werk nicht belangvoller als eine Kinderfibel vorkam. Gerade dieser Einstellung war im »Dr. Katzenberger« seine größte Satire und im »Leben Fibels« seine schönste und tiefste Idylle erwachsen. Die Abrechnung, die er mit sich und seinem Werke hielt, offenbarte ihn als den großen Dichter, der er war.
Der Kome t
Langsam hatten die Schriften Jean Pauls aus den letzten Jahren sich ihr Publikum erobert. Eine ganz neue Erscheinung stand er vor dem deutschen Volk. Aber auch dieses Volk selbst war anders geworden. Der geistige Schwerpunkt lag nicht mehr in den Adelskreisen. Als hätte der Niederbruch des preußischen Staates bei Jena lastende Hemmungen beiseitegeräumt, so erwachte auf einmal das Bürgertum zu neuem Leben. Die Arbeit der preußischen Reformer setzte sich unmittelbar in lebendige Wirkung um. Neue Schichten stiegen auf, hungernd nach geistiger Nahrung und Teilnahme an den öffentlichen Dingen. Die Kreise, die dem Dichter des »Hesperus« zugejubelt hatten, verstanden den »Titan« nicht mehr. Aber schon die folgenden Werke drangen in die neuen Schichten ein. Nicht mehr unter den offiziellen Repräsentanten des deutschen Lebens fand Jean Paul seine Anhänger, aber er ergriff die jetzt hochkommende Generation von Männern und Jünglingen mit seinen Ideen und Gestalten. Tief in die weitesten Volkskreise drangen die »Vorschule« und die »Levana« ein. In den »Flegeljahren« sahen sich nicht mehr sentimentale Liebespaare gespiegelt, erkannten sich vielmehr die jungen Männer, auf denen die Hauptlast der Zeit lag, in ihrem idealen Streben. Wo sie den Dichter nicht fassen konnten, da ließen sie sich von dem Politiker ergreifen. Jean Paul wurde gerade den Kreisen der aufstrebenden akademischen Jugend, die für deutsches Wesen und deutsche Wiedergeburt entbrannten, der deutsche Mann, der Inbegriff deutschen Geistes. Unverkennbar ist die männlichere Note, die sein Schaffen jetzt auszeichnete, steigend bis zu der herben Kühnheit des »Dr. Katzenberger«. Wieder wie zur Zeit des »Hesperus« las und verschlang man seine Bücher. Wir sahen, wie die »Friedenspredigt« eine neue Epoche seines Schaffens einleitete. Mochte der Dichter selbst das Gefühl haben, ohnmächtig vor einer Entwicklung zu stehen, die andere Bahnen einschlug, als er sie für richtig hielt – die Generation, die bald nach den Befreiungskriegen so schwere Enttäuschungen durchmachen sollte, jubelte ihm zu. Nicht für das offizielle Deutschland, aber für das, das noch einmal die Aufgabe einer deutschen Verwirklichung auf sich nahm, wurde er der Führer und blieb es, als er für sich schon jeder Führung entsagt und sich ganz in das Reich reinen
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