Saemtliche Werke von Jean Paul
besucht. Am 18. ist er wieder in Heidelberg.
Hier kommt er zum erstenmal bei dem Botaniker und Naturphilosophen Professor Schelver mit dem tierischen Magnetismus in Berührung, für den er sich seit langem interessiert hatte. Bei Schelver trifft er seine alte Freundin, die Baronin von Krüdner, die sich Schelver zu einer magnetischen Kur anvertraut hat. Er selbst versucht sich als magnetisch Heilender und glaubt, Heilkraft in sich zu entdecken. Von da ab sucht er Schmerzen durch Handauflegen zu heilen. Wirklich soll eine lindernde Wirkung von seiner Handberührung ausgegangen sein.
Am 23. August verläßt er die Stadt, von Voß eine Strecke im Wagen begleitet. Aber vorher hat er schmerzlich schöne Stunden mit Sophie Paulus verlebt. In heißen Küssen sind sie einige Stunden zusammen gewesen. In jenen Tagen entsteht die kleine, nur wenige Seiten starke, aber unverwelkliche kleine Dichtung »Über das Immergrün unserer Gefühle« und die Vorrede zu dem Ergänzungsblatt der »Levana«. Noch einmal ist heiße Herzensflamme in sein Schaffen getrieben.
Karoline Paulus schreibt ihm unmittelbar nach seiner Abreise: »Sie haben mir und noch jemand, den ich mehr liebe als mich selbst, das Höchste, nämlich etwas Unvergängliches, ewig beglückend und beseligend Fortwirkendes gegeben. Sie waren schon seit Jahren Ihr und mein einziger Lehrer. Sie nur einmal zu sehen, war Jahre lang unser heißer Wunsch; nun ist uns mehr geworden, als wir je zu wünschen gewagt hätten… Sophie erzählt mir noch viel von Ihnen. Gestern hat sie den ersten Sonntags-Sonnenuntergang im Andenken an Sie gefeiert.« Sophie fügt einige Zeilen hinzu, verspricht, wie er ihr befohlen, Herder und den Woldemar zu lesen, »so wie ich überhaupt nichts mehr denken, lassen, tun und empfinden kann ohne Beziehung auf Sie«. Sie sucht die Mannheimer Rheinbrücke auf, über die er mit ihr gewandelt. »Was aber dort mein Gemüt bewegte, kann meine ungeübte Feder nicht ausdrücken.« Immer wieder sieht sie aus dem oberen Stübchen nach dem Gartenplatz hin, wo er gearbeitet hat, wo das »Immergrün« und die »Vorrede« entstand.
Zu Hause muß er der Frau nicht nur die Küsse beichten, sondern auch, daß er die Sehnsucht nach körperlicher Verschmelzung gefühlt hat. Karoline ist tief unglücklich. Jetzt erst und das nächste Jahr hindurch tut man Einblicke in die Tragik dieses Frauenlebens, die erschüttert. Auch sie war ja einst, was Sophie jetzt ist: ein allen Eindrücken empfängliches junges Mädchen, das ihm enthusiastisch zu Füßen lag und seine Hände küßte. Seit drei Jahren sei sie hart von ihm behandelt worden, so hart, daß sie an seiner Liebe zweifeln müsse, schreibt sie ihm einmal. Nur Gewohnheit und Notwendigkeit halte ihn ab, ein Band zu lösen, das ihn drücken müsse. Tief schauen wir in ihr gequältes Herz hinein, wenn sie sich selbst anklagt, vor neunzehn Jahren seine Hand genommen zu haben. Nur die Liebe, die unendliche, die niemand weiter so empfinden kann, gab ihr Ansprüche, die auszuüben sie sich schließlich doch nicht wert fühlen darf.
Jean Paul ist nach zwei Seiten hingerissen. Alle seine Gedanken gehören dem nächsten Frühling, der ihn wieder in Heidelberg finden soll. Schon im November schreibt er dem Freunde Voß von seinen Plänen. Im nächsten Jahr, am 26. Mai 1818, ist er in Bamberg, von dort geht es nach Frankfurt. Dort findet er den alten Koburger Freund Wangenheim, den Feind des Ministers Kretschmann, als württembergischen Gesandten beim Frankfurter Bundestag vor. Alle Nachmittage ist er bei ihm. Einmal findet er Friedrich Schlegel dort. Merkwürdigerweise hält er ihn für dessen Bruder August Wilhelm. Erst in Heidelberg wird er seinen Irrtum gewahr. Eine malerische Bootfahrt mit anschließendem Ständchen, das ihm zu Ehren vor seiner Wohnung gegeben wird, ruft ihm die Erinnerung an Heidelberg wach. Am 10. Juni wird ihm vom Gelehrtenverein ein Bankett veranstaltet. Aber er ist dieser Feiern müde, es zieht ihn zu den Freunden nach der Neckarstadt. Gleich nach seiner Ankunft hat er an Sophie geschrieben, daß er jetzt nur noch einen Schritt von sechs Meilen zu seiner Frühlingsfreude habe. Am Mittag des 16. Juni trifft er in Heidelberg ein. Voß ist ihm zwei Stunden entgegengefahren. Mit August Wilhelm Schlegel, der ebenfalls auf der Reise ist, wohnt er im »Karlsberg« zusammen. Die Ehrungen muß er diesmal mit seinem alten Gegner teilen. Aber das ist nicht der Grund, weshalb sich die Hochstimmung des
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