Saemtliche Werke von Jean Paul
Ohnmächtig wird sie herausgezogen, aber sie kämpft mit Riesenenergie gegen das Leben, widersteht allen Bemühungen, das verschluckte Wasser aus ihr herauszubringen, schildert mit letzter Kraft ihren Angehörigen die himmlische Musik und die Lichter der Ewigkeit, die sie im Wasser umwogten, und gibt schließlich ihren Geist auf. In tiefer Erschütterung ging Jean Paul aus der Berührung mit diesem Ereignis hervor. Er, der sich seit Jahren von den »Titaniden« ganz zurückgezogen hatte, wurde schmerzlich an die Zeiten des »Hesperus« und der stürmischen Herzen erinnert, die um ihn rangen. Irgendwie lockerte dieses Erlebnis den Boden für die Liebe, die er nun noch einmal in Heidelberg finden sollte. Diese Heidelberger Reise ist der Höhepunkt dieser Periode seines Lebens und vielleicht seines Lebens überhaupt, so kräftig umspülte ihn hier der Strom der Zeit und die abgöttische Verehrung der Menschen. Und noch einmal sollte ihm eine Freundschaft, die mit Heinrich Voß, wie er sie seit Jahren ersehnt hatte, hier erblühen.
Die Heidelberger Universität war kurz nach Jena zum geistigen und kampfumtobten Mittelpunkt Deutschlands geworden. Nirgends wie hier schnitten sich die Linien der Entwicklung, nirgends wie hier platzten die Ideen aufeinander. Im Jahre 1805 war das letzte Haupt der Aufklärung, der alte Johann Heinrich Voß, nach Heidelberg gezogen und sagte von hier aus allen romantischen Bestrebungen die heftigste Fehde an. Kurze Zeit darauf folgte ihm sein Sohn Heinrich als Professor der Philologie an die Heidelberger Universität. Er wie der liberale Professor der Theologie Paulus vertraten einen gemäßigten Protestantismus mit liberalen Einschlägen, während neben ihnen Görres und Creuzer die Vertreter eines romantischen Mystizismus waren. Beide Parteien hatten sich Jahre hindurch heftig befehdet. Creuzer war durch das Schicksal der unglücklichen Günderode, die sich seinetwegen das Leben nahm, für kurze Zeit in den Mittelpunkt der romantischen Schule gerissen worden. In seinen Arbeiten verfolgte er etwa die gleichen Ziele wie Arnold Kanne, das heißt er suchte durch Zurückgehen auf die urmythologischen Bestandteile aller Religionen die allen Kirchen und Religiositäten zugrunde liegende Urreligion herauszuarbeiten. Politisch schlug bei ihm bereits die Romantik in einen strengen Konservativismus um, zu dem Voß und Paulus in entschiedenem Gegensatz standen. Im Jahre 1817, als Jean Paul Heidelberg besuchte, waren die Gegensätze bereits ein wenig ausgeglichen, nicht zum geringsten Teil durch Hegel, der seit einem Jahr die Professur für Philosophie inne hatte.
Jean Paul hatte die mannigfachsten Verbindungen mit Heidelberg, die engsten aber mit Heinrich Voß, der ihm bereits im Jahre vorher seine Übersetzung von Shakespeares »Lustigen Weibern« gesandt hatte. Der daran anknüpfende Briefwechsel legte den Grund zu der Freundschaft der beiden Männer. Voß forderte dringend zum Besuch Heidelbergs auf. Im Frühling ließ sich Jean Paul für vier Wochen eine Studentenwohnung in der Stadt reservieren mit, wie er wünschte, einem schlechten Kanapee zum Lesen und Schreiben, wenigen Möbeln und Abendsonne. Im »Goldnen Hecht« wurde diese Wohnung mit Aussicht auf den Neckar und die Schloßruine gefunden. Am 2. Juli trat Jean Paul die Reise an. »Heidelberg ist göttlich in Umgebung und schön im Innern«, schreibt er noch am gleichen Abend an seine Frau. Die Abende der ersten Woche verbringt er teils bei Voß, dessen Eltern verreist sind, teils bei der Familie Paulus, die ihn jetzt schon anzieht. Eine alte Freundin von ihm ist die Baronin von Ende, bei der er ebenfalls oft verweilt und die ihm einen Tee in »dem göttlichen Schloßgarten« gibt. Am Abend dieses Tages wird ihm von der Studentenschaft ein Fackelzug gebracht. Vor Jean Pauls Wohnung singen sie ein für ihn gedichtetes Lied nach der Melodie von »Heil dir im Siegerkranz«. Jean Paul kommt zu ihnen hinunter. »Wo sind Hände?« ruft er aus. »Kinder, gebt die Hände her, daß ich sie drücken kann. Jede Hand ist ein Herz!« Oft sechs Hände zu gleicher Zeit muß er umfassen. »Wenn Sie mir dieses Lebewohl bringen, weil ich ein Deutscher bin, wohl, so nehme ich es freudigst an; aber wenn Sie es dem Dichter bringen, dann sei es ferne von mir, mich dessen würdig zu erachten.« Er begleitet die Studenten, die mit geschmückten Hüten paarweise Arm in Arm gehen, bis auf die Neckarbrücke. Da es regnet, reicht man ihm eine bunte Mütze, weil er
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