Saemtliche Werke von Jean Paul
Kurland in Löbichau zusammen, als er im September desselben Jahres drei Wochen an diesem eigenartigen Musenhof zubrachte. Nach der Thronentsagung ihres Mannes hatte sich die Herzogin, eine geborene v. Medem, mit ihrer bekannten Stiefschwester Elise v. d. Recke auf dem zwischen Gera und Altenburg gelegenen Schloß und Rittergut Löbichau niedergelassen. Das Schloß wurde bald zu einem Mittelpunkt vornehmer und geistiger Geselligkeit. Drei im benachbarten Schloß Tannenfeld wohnende Töchter der Herzogin trugen nicht wenig dazu bei, den Aufenthalt in Löbichau anziehend zu machen. Außer von Elise v. d. Recke kam die besondere Weihe des Kreises von dem berühmten Kriminalisten Anselm v. Feuerbach, der mit seinem später als Philosoph berühmt gewordenen Sohn Ludwig regelmäßig dort weilte. Unzertrennlich von der Recke war Tiedge, der Sänger der »Urania«, damals eine Modegröße, heute vergessen. Eine Reihe mehr oder minder geistvoller oder berühmter Männer und schöner Frauen war ständig auf Löbichau oder in Tannenfeld zu Gast. Eine ganz eigentümliche Stimmung lag über dem Schloß, die Jean Paul bald gefangennahm.
Er konnte die vollkommene Freiheit, deren sich jeder dort erfreute, nicht genug rühmen. »Jeder Gast frühstückt mit sich selber und sieht bloß aus seinen Fenstern über den Altan, wenn er so wohnt wie ich, einzelne Damen durch die Park- und Morgenkühle wandeln oder Kammerjungfern, die noch nicht in heißem Feuer und Handgemenge mit dem ungeplätteten und ungefalteten Weißzeug stehen.« Arbeiten oder Promenaden und Besuche wechseln den Vormittag über, bis um 12 Uhr zum »Generalfrühstück« geläutet wird, das sich oft über mehrere Stunden ausdehnte. »Alle nötigen Sekten sind hier vereinigt, jeder kann die Meinung, welche er will, ergreifen oder angreifen – gegen oder für Magnetiseurs – gegen oder für Juden – gegen oder für Ultras und Liberale –, niemand wird etwas dagegen sagen – als höchstens seine Gründe; oft erscheint dabei die immer ruhige und heitere Dorothea auf dem Kampfplatz, um die brennend zusammengehenden Strahlen verschiedener Parteien sanft auseinanderzubrechen.« Um 7 Uhr begann das Souper. Ihm folgten Konzertvorträge, Spiele und Tänze. Selbst Jean Paul, der seinem Tanztalent bisher nicht sehr getraut hat, entdeckt es und schwingt sich mit Schönen im Tanze, die dem ausgelassenen Dichter vielleicht nicht weniger dabei nachzusehen haben als Wina dem tanzbegeisterten Walt. Am Abend des 9. September wird er durch eine ihm zu Ehren veranstaltete Illumination des Parkes und einer kleinen Insel überrascht. »Als auf dem Rückwege die ganze Gesellschaft Arm in Arm durch die ätherischen Freudenfeuer auf beiden Seiten mit dem gemeinschaftlichen Absingen eines deutschen Liedes zog, da hatte ich endlich jene Nacht des Himmels, nach der ich mich durch meine leere Jugend hindurch so oft gesehnt; eine Nacht, in der ich in der Jugendzeit mein unbewohntes Herz dahingegeben hätte.«
Mit besonderem Interesse unterhielt sich Jean Paul in diesen Tagen mit dem jungen Ludwig v. Feuerbach, der damals in einen trüben Mystizismus gesunken war. Jean Paul ahnte noch nicht, daß sein eigener Sohn Max bald von dieser Zeitströmung ergriffen werden würde. Ludwig Feuerbach überwand diese Krise, Max sollte ihr erliegen. Damals erhielt Jean Paul durch die Gespräche mit dem jungen Feuerbach wohl den ersten Begriff von diesem lebenaussaugenden Mystizismus Kannescher und Creuzerscher Herkunft, diesen letzten Ausläufern der Romantik, deren erste Töne Novalis angeschlagen hatte. Die Gestalt Lianes mußte vor ihm aufsteigen.
Am 19. September war er wieder in Baireuth. Auf der Durchreise hatte er noch einige Tage in Altenburg verbracht.
Die Reise des nächsten Jahres (1820) ging nach München, und zwar war es sein dort studierender Sohn, der ihn vornehmlich dorthin zog. Auf der Durchreise feierte er in Regensburg mit dem Grafen Westerholt, einem Freunde seines Primas Dalberg, »die hohe Stunde einer Todesfeier des Geliebten«. Am 30. Mai traf er in München ein, stieg zunächst im Gasthaus »Zum Adler« ab, vertauschte aber schon am nächsten Tag diese Wohnung mit einer von Max besorgten Privatwohnung vor der Stadt im Rochusgäßchen. Den alten Freund Schlichtegroll traf er in München als Generalsekretär der Akademie der Wissenschaften wieder. Mit Schlichtegrolls verlebte er die schönsten Stunden. Auch zu dem großen Philologen Thiersch knüpften sich herzliche
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