Saemtliche Werke von Jean Paul
Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit Gestalt und Ort; aber ein an die gewöhnliche Ordnung gewöhntes Auge wäre vielleicht vor seiner Stube ebenso erschrocken als er vor Roquairols im ›Titan‹. In der einen Stubenecke, noch an der Türe, durch die er einen besondern Ausgang zur Treppe hatte, bei dem Kissen, auf dem ein weißer, seidenhaariger Pudel ruhte, hing eine lederne gestickte Jagdtasche und neben ihr lehnt ein großer Rosenholzstock; – alle drei die Begleiter auf seinen Gängen, wenn er in die Gärten seiner Freunde oder dem Fichtelgebirge zu durch die Kastanienallee zu dem Häuschen der Frau Rollwenzel, dort zu arbeiten, wanderte, bis wir ihn zum ländlichen Mahl bei der freundlichen und originellen eben genannten Frau abholten.«
So sehen wir den Dichter zwischen seinen Büchern und Repositorien leben, von Kanarienvögeln umhüpft, dem Dasein fast schon abgestorben. An den über hundertjährigen Fibel muß man bei Spaziers Schilderung denken. Ein Hauch von Rührung und Ehrfurcht geht von dieser Erscheinung aus. »Je größer die scheue Ehrfurcht war, mit der man an seiner geistigen Größe und moralischen Strenge hinaufsah, desto entzückender und heimlicher war der Genuß des Kindlichen und Reinmenschlichen, was er um sich herum zu betten gewußt.«
Man kann vielleicht die geleistete Arbeit dieser Jahre gering nennen. Die »Selina«, die nicht fertig wurde, beschäftigte ihn zumeist. Daneben redigierte er aber auch die »Kleine Bücherschau«, die seine gesammelten Rezensionen enthielt, und immer gab es eine neue Auflage eines älteren Werkes durchzuarbeiten. Je schwerer ihm die dichterische Produktion fiel, um so mehr gab er sich diesen redigierenden oder korrigierenden Arbeiten hin. Nicht zum wenigsten aber nahm nach wie vor eine ungeheure Korrespondenz seine Kraft in Anspruch. Jedes Menschliche, das ihm nahte, nahm er mit liebevoller Sorgfalt auf. Unzähligen war er Berater und Freund. Aus den fernsten Gegenden, aus allen Ständen wandten sich Menschen mit den merkwürdigsten Angelegenheiten an ihn, und nie enttäuschte er. Hierin blieb er bis in seine letzten Wochen der Armenadvokat, als der er sein Schaffen begonnen hatte.
Im Frühling 1824 traf Spazier wiederum in Baireuth ein und blieb nunmehr ein ganzes Vierteljahr dort. Damals bereits nahm die Auflösung des alternden Körpers zu. Die Augen waren so schwach geworden, daß sie nur noch mit Mühe den allerdringendsten Dienst erlaubten. Eine unentschlossene Müdigkeit beherrschte Jean Paul. Kaum konnte er sich entschließen, das Haus zu verlassen. Er, der sonst immer den ersten schönen Frühlingstag herbeigesehnt hatte, um ins Freie zu gelangen, ging diesmal erst im Mai aus, als schon längst die Natur in voller Blüte prangte. Im Herbst hatte das Augenlicht so abgenommen, daß er, der Vorlesen haßte, sich abwechselnd von den Seinigen vorlesen ließ. Kam Besuch, so zog er sich mürrisch und verbissen in seine Stube zurück, den Anblick der Menschen fliehend, »hypochondrisch dabei zweifelnd an der Ergebenheit selbst der Seinigen«.
In dieser Weise quälte er sich bis in den Sommer 1825 fort, als Spaziers Rückkehr aus der Schweiz noch einmal einen vorübergehenden Aufschwung in seinem Befinden brachte. Die farbigen Schilderungen des Neffen von dem Lande, das von jeher seine Phantasie beschäftigt hatte, ließen ihn nach langer Zeit zum erstenmal wieder aufhorchen. Er fragte und hörte voll Spannung. Auf einmal verlangte er nach Punsch, was seit Jahren nicht mehr vorgekommen war. Die Frauen erhoben sich wie verklärt, den Punsch zu bereiten. Im Verlauf der Unterhaltung, die sich nun entspann und die Jean Paul lebhaft wie ein Jüngling führte, kam das Gespräch auch auf seinen lange gehegten Plan einer Gesamtausgabe seiner Schriften. Von Dresden aus führte Spazier dann mit schnellem Erfolg die Verhandlungen mit dem großzügigen Berliner Verleger Reimer so weit, daß die Vorarbeiten begonnen werden konnten. Dieses Ergebnis konnte Jean Paul wenigstens für die Zukunft seiner Familie beruhigen, im übrigen hielt die Besserung seines Befindens nicht lange stand. Anfang September machte er bei kaltem, regnerischem Wetter eine Reise nach Nürnberg zu dem Augenarzt Kapfer, die ihn vollends herniederwarf. Es war wohl nicht mehr als eine Beruhigung, wenn Kapfer ihm sagte, daß er im nächsten Frühjahr seine Augen operieren würde. Der erfahrene Arzt sah, daß der Auflösungsprozeß des Körpers in vollem Gange war.
Im Oktober lud Jean Paul den
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