Saemtliche Werke von Jean Paul
Schleunes seinem unendlich schöner wieder, als er sie verlassen hatte – blässer nämlich. Da sie keine Nervenpatientin war, keine Kälte mied, sogar in Dezemberabenden allein auf dem Dorfe spazieren ging: so waren sonst ihre Wangen mehr dunkle Rosenknospen als aufgegangene abgebleichte Rosenblätter. Aber jetzo war die Sonne ein Mond geworden – sie hatte in irgendeinem Kummer, wie der Saphir im Feuer, nichts verloren als die Farbe, statt des Blutes schien die stillere, zärtere Seele selber näher durch den weißen Florvorhang zu blicken. Alles Blut, das aus ihren Wangen zurückgewichen war, floß in seine über und stieg ihm wie ein Zaubertrank in den Kopf; indes suchte er sich in diesen den Gedanken zu setzen: »Wahrscheinlich machte sie mehr der Zank mit ihren Eltern, weniger der Kummer, hieher getrieben zu werden, krank!« –
Wenn man sich einmal vorgesetzt hat, sich kalt zu stellen: so wird man es noch mehr, wenn man Ursachen findet, es nicht zu werden. Viktor wurde noch kälter durch Klotildens Eltern, die mitgekommen, und von deren Fehlern ihm auf einmal der Deckmantel weggezogen zu sein schien; an Personen, die man einer dritten wegen zu hoch geachtet, nimmt man, wenn uns die dritte nicht mehr zwingt, durch eine größere Heruntersetzung derselben Rache. Auch sagte er zu sich: »Da sie ihren Bruder Flamin jetzo selten sieht: so wär’s einfältig, sie einer verlegnen Minute durch die Erzählung bloßzustellen, daß ich die Verwandtschaft weiß.« – Armer Viktor! – Gleichwohl wars ihm unmöglich, sein Herz nur mit so viel elektrischer Wärme vollzuladen – er rieb es mit Katzenfellen, er schlug es mit Fuchsschwänzen –, als dasein mußte, daß sein Puls wenigstens voll für Joachimen gegangen wäre, geschweige fieberhaft; aber eben dieses bestimmte ihn, sich gerade so zu betragen, als wären Herz und Pulse voller: »Es wäre unedel,« (dacht’ er) »wenn es die gute Joachime entgelten müßte, daß ich einmal andere Hoffnungen und Wünsche gehabt als die neuesten.« Diese Aufopferung erwärmte ihn mit eigner Achtung; diese Achtung gab ihm den männlichen Stolz, der mit seiner Liebe und seiner Wahl allen vier Weltteilen trotzt; dieser Stolz gab ihm wieder Freiheit und Freude – und jetzo war er imstande, mit Klotilden zu reden wie ein vernünftiger Mensch.
Diese ganze innere Geschichte nahm freilich einen zwölfmal größern Zeitraum ein als Muhameds Reise durch alle Himmel – fast eine gute Stunde. Ein Zufall aber warf sich zwischen alle seine Ideen. Da nämlich die Ministerin eine wahre Gelehrte war – sie wußte, daß ein paar Quarzdrusen und einige Präparate und ein ertränkter Fötus noch keinen Gelehrten machen, sondern erst ein Lehrsaal voll Naturalien und ein Lesekabinett –, und da der Kammerherr Le Baut ein Gelehrter war – denn sein Kabinett war ebenso groß –: so wurde dem Kammerherrn die Sammlung gezeigt, die er selber bereichern helfen. Man sollte denken, sie hätten einander ausgelacht und für Narren gehalten: aber sie hielten sich wirklich für Gelehrte; denn den Großen wachsen die Früchte vom Baume des Erkenntnisses so ins Fenster und ins Maul – sie haben so viele Leichtigkeit, Kenntnisse zu erlangen (daher die zweite, sie zu zeigen) – sie suchen im Brunnen der Wahrheit so selten etwas anders als ihr eignes, mit Wasserfarben gemachtes Kniestück, und in die Tiefe dieses Brunnens zu waten, wäre für sie eine solche Erkältung – und doch gehen sie auf der andern Seite mit so vielerlei Personen von Kenntnissen aus allen Fächern um – – daß sie von allem etwas über der Tafel erfahren und durch die Ohren, durch Mundüberlieferung, wie die Schüler der Alten, Vielwisser werden. Wenn sie nachher gar das, was ihnen ungehört geblieben, vollends zu entbehren wissen, was ist dann zwischen ihnen und den ärmsten Gelehrten für ein Unterschied als der in dem Bewußtsein?
Im Naturalien- und Bücherkabinett lag noch die ganze Neujahr-Ladung von summenden Käfern mit goldnen Flügeldecken ohne Flügel – ich meine die vergoldeten Musenalmanache. Matthieu, dieser Nachahmer der tierischen Nachtigallen, war der Erbfeind der menschlichen, nämlich der Dichter. Er sagte – was in eine Rezension besser gepasset hätte –: »er sei ein großer Freund von Versen, aber im Winter – denn wenn er so durch die Blumen-Beete eines Almanachs streiche, so werd’ er, wie einer, der durch ein Bohnenfeld geht, schläfrig genug und könne einschlafen. – Und da gerade die
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