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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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Traurigkeit und außer einem Wachs-Skelett von Mad. Biheron, das im Naturaliensaale mit dastand, noch mehr die blasse Gestalt Klotildens erinnerte – und da diese, mit den vergleichenden Augen auf dem Gerippe und dem Schattenbilde, leise zu Viktor sagte: »Mich könnten zu einer andern Zeit so viele Ähnlichkeiten traurig machen« – so durchschnitt sein volles Herz der scharfe Schmerz über seine ewige Armut und über die Gewißheit: »Dieses schöne Herz bewegt sich nie für deines, und wenn ihr Freund Emanuel gestorben ist, bleibst du immer allein« – und er trat ans Fenster, drehte es hart auf, schlang den Nordwind ein, zerdrückte mit der Faust die zwei Augäpfel und ging mit den – vorigen Zügen wieder zu den andern.
    Aber für heute hatten solche Erschütterungen zu tief in sein Herz hineingerissen. Und da ihm Klotilde in einer einsamen Sekunde sagte, daß die Pfarrerin und Agathe über sein Außenbleiben zürnten: so war er, dem sich bei diesen Namen die ganze bewölkte Vergangenheit wie ein Himmel auftat, nicht imstande eine Antwort zu geben.
    Als er nach Hause kam, redete Klotildens Stimme, die er unter allen ihren Reizen am wenigsten vergessen konnte, unaufhörlich und wie das Echo eines Trauergesangs in seiner Seele… Leser, wenn das, was du liebtest, lange verschwunden ist aus der Erde oder aus deiner Phantasie, so wird doch in Trauerstunden die geliebte Stimme wiederkommen und alle deine alten Tränen mitbringen und das trostlose Herz, das sie vergossen hat!… Aber nicht bloß ihre Stimme, sondern alles drängte sich im Finstern um seine Phantasie, ihr bescheidenes Auge, das nicht hofmäßig blitzte und ertrotzte und suchte, wie der andern ihre, diese behutsame Feinheit, die ihm seit seinem Hofleben weder an ihr noch an seinem Vater mehr zu groß vorkam – dazu setze man noch das Bild Joachimens und sein Chaos von Widersprüchen und die Bemerkung, daß ein Mensch, den die gewissesten Beweise, ungeliebt zu sein, beruhigt haben, doch bei einem neuen wieder leidet: so kennt man die Bewegungen, die der Schlaf, diese Meerstille des Lebens, bei ihm stillen mußte. –
    »Das war das letzte Fieberschauer«, sagt’ er am andern Morgen und bauete auf sein jetziges Herz, dessen Entzündungen wie die der Vulkane täglich ihren Kessel mehr ausbrannten. Er gebot sich daher eine wöchentliche Flucht vor der zu teuern Seele, in der Absicht, daß der neue Nachklang seiner Liebe in seinem Herzen auszittere und alles wieder still werde darin.
    Aber nach einer Woche sah er sie wieder: wahrlich, der Teufel saß wieder am Spieltisch und spielte gegen ihn eine andere Farbe aus – Rot . Klotilde sah nicht blaß, sondern, obwohl nur wenig, rot aus. Dieses Rot machte an seinem innern Menschen einen großen Klecks und verfälschte sein inneres Kolorit, wie Schwarz jede Malerfarbe. Denn als er sie genesen wiederfand: so wars ihm nicht sowohl angenehm – denn er sah, wie wenige Verdienste er mehr um ihre Ruhe habe, wie sie ihn nicht einmal in diesem Warenlager von Menschen-Makulatur aushebe, und wie dumm er gewesen, daß er sich heimlich, ganz heimlich träumen lassen, »ihre vorige Bleichheit komme gar von ihrer vergeblichen Sehnsucht nach ihm seines Orts her« –, desgleichen wars ihm auch nicht unangenehm – denn er hätte all sein Herzblut dahingegossen, um damit eine einzige Pulsader in ihr wieder in den Gang zu bringen –, ich sage, es war ihm nicht sowohl angenehm oder unangenehm als beides, als unerwartet, als ein Wink, des – Teufels zu werden. Sein Herz und das Bild, das zu lange darin war, wurden gar entzweigedrückt: »Es sei!« sagt’ er und zerbiß die krampfhafte Lippe, womit ers sagte. – Einige Tage lang mocht’ er nicht einmal Joachime sehen. »Hat diese denn ein Auge für die Natur und ein Herz für die Ewigkeit?« fragt’ er, und er wußte wohl die Antwort.
    Jetzo ging eine Zeit für ihn an, die gerade das Gegenteil der Sabbatwochen war – man kann sie die Renn-Wochen oder die Tarantel-Tanzstunden der Besuche nennen. Es ist eine verdammte Zeit, der Mensch weiß nicht, wo er steht. Sie fiel bei Viktor gerade in die Wintermonate, wo ohnehin die sausenden Butterwochen der Städte und Höfe sind. Ich will sie jetzt ordentlich schildern.
    Viktor suchte nämlich sein uneiniges unglückliches Herz zu überschreien und zu betäuben – nicht mit den Trommelwirbeln der Lustbarkeiten; unter diesen verblutete es vielmehr, so wie unter dem Trommeln die Wunden stärker fließen: sondern – mit

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