Saemtliche Werke von Jean Paul
ist. Das männliche Geschlecht ist glücklicher und neidloser als das weibliche, weil jenes imstande ist, zweierlei Schönheiten mit ganzer Seele zu fassen, männliche und weibliche; hingegen die Weiber lieben meistens nur die eines fremden Geschlechts. Ich hab’ aber vielleicht zu viel Enthusiasmus für die erhabne männliche Schönheit, so wie für poetische Schwärmerei, ungeachtet ich wenigstens letzte selber nicht habe. Aus Gustav wirkte die doppelte Zauberei auf mich, ich vergaß alle Zauberinnen des Konzerts über den Zauberer; aber ich ward am Ende traurig, daß ich dem Schönen mehr Blicke als Worte abzuschmeicheln vermochte. Auf das Konzert gab ich, gleich andern Zuhörern, ohnehin nur so lange acht, als ich selber ein Mitarbeiter war oder als eine meiner Schülerinnen spielte; denn die Scheerauer Konzerte sind bloß in Musik gesetzte Stadtgespräche und prosaische Melodramen, worin die Sesselreden der Zuhörer wie gedruckter Text unter der Komposition hinspringen. Übrigens unterzeichnen wir auf unsere Konzerte mehr unserer Kinder als unserer selber wegen; die musikalische Schuljugend bekommt darin einen Tanz- und Tummelplatz ihrer Finger, und von meinen artistischen Katechumenen kantschuet wöchentlich wenigstens einer den Flügel. Ich frische die Eltern dazu an und sage, in einem solchen Konzertsaal lernen die Kleinen Takt, weil da nicht nur genug, sondern auch überflüssig Takt ist, indem jeder dasige Musikoffiziant seinen eignen originellen pfeift, hackt, streicht, stampft, den erstlich kein anderer neben ihm pfeift, hackt, streicht, stampft und den er zweitens selber von Minute zu Minute umbessert. »Und wenn auch das nicht wäre,« sag’ ich, »so ist doch wahrer musikalischer Ausdruck im Überfluß da; jeder drückt darin seine Empfindungen, die der Verlegenheit, des Erstarrens, auf seinem Instrumente aus; und Bachs Regel, Dissonanzen stark und Konsonanzen schwach vorzutragen, weiß in einem Saale jeder, wo die Konsonanzen so sanft eingeschmolzen werden, daß man fast keine hört und nur die Dissonanzen zu vernehmen meint.«
Am andern Morgen flog ich unfrisiert zum Rittmeister und – da ich den guten Kleinen um keinen niedern Preis erhalten konnte – brachte ihn ganz ans erste Ziel seiner Reise hinan, nämlich das, einen Hofmeister mitzubekommen. Man muß nicht denken, daß ich Informator geworden, um Lebensbeschreiber zu werden, d.h. um pfiffigerweise in meinen Gustav alles hineinzuerziehen, was ich aus ihm wieder ins Buch herauszuschreiben trachtete; denn ich brauchte es erstlich ja nur wie ein Romanen-Manufakturist mir bloß zu ersinnen und andern vorzulegen; aber zweitens damals wurde an eine Lebensbeschreibung gar nicht gedacht.
Mir ist weit weniger daran gelegen, meine scheerauischen Verhältnisse bekannt zu sehen, als der Welt; denn ich kenne sie schon. Aber die Welt nicht. Ich formierte eine Dreieinigkeit von Personen da: ich war Klaviermeister, Rechtskonsulent und Weltmann. Drei närrische Rollen! – Ich studierte in der Stadt, die sonst die größten Juristen und jetzo die kleinsten Hunde liefert, in Bologna, zwei ganz entgegengesetzte Lieferungen, wie Paris sonst die Universität aller europäischen Theologen war, jetzo der Philosophen . In Paris war ich auch, hätte auch da ein geschickter Parlamentsadvokat werden können; ich wollt’ aber nicht und nahm nichts daraus mit (so wie aus Bologna und aus einigen deutschen Reichsstädten) als die schwarze juristische Kleidung, die ihren Grund hat; denn da unsere Klienten uns ernähren und bezahlen und mehr Recht und Not als Geld behalten: so trauern wir Patronen um sie schwarz; hingegen bei den Römern legten die Klienten, die mehr bekamen als gaben, für den Patronus, wenn es ihm schlimm erging, Trauerkleider an.
Zweitens war ich Klaviermeister, aber vielleicht kein gesetzter; denn ich verliebte mich im ersten Quartal in alle meine Schülerinnen (für Schüler dankte ich) und richtete mich nach meinen Stunden mit meinen Empfindungen. Ich hegte wahre Zärtlichkeit, erstlich gegen eine Dame von Rang, die ich nie kompromittieren werde – zweitens gegen ihre Schwester, eine Äbtissin, weil sie Generalbaß bei mir lernte – drittens gegen *** – viertens gegen die Hofkaplänin, die zwar hektisch, aber geschmackvoll ist und die eher zu viel als zu wenig Zieraten an (nicht auf ) dem Klaviere liebte und es auf das schönste wichste, überzog und aufstellte – fünftens in die Residentin von Bouse, die gar nicht einmal die Sache weiß
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