Saemtliche Werke von Jean Paul
regieren – und einzunehmen – als hier dieses fatale Menschen-Siebeneck, das mit Mühe in die rechten Ausschnitte zu treiben ist und worunter ich selber der widerhaarigste bin. Denn mir, als bloßem Lebensbeschreiber, stehen weder Reichskammergericht noch Exekutiontruppen gegen mein Siebeneck bei; wär’ ich aber ein Reichstand, so täten sie schon manches – versprechen.
Unsern Abschiedwagen in Scheerau umgab die lustige Kälte des Professors – das arbeitsam Geschrei seiner Stoikerin – das zärtliche Lächeln des Pestilenziarius mit Iltisschwänzen – das gute Herz seines Söhnchens, das kaum mit Lügen von Gustav abzuschneiden war – und meine dankbaren Erinnerungen an unsichtbare Stunden, an geliebte Menschen und an alle meine Schülerinnen – – O daß doch der Mensch hier so viel vergehen sieht, eh’ er selber vergeht.
Unterweges weinte Gustav im Wagen immerfort in unsere Gedankenstille hinein; aber der Alte, dem doch selber das Herz so leicht zerläuft, wurde endlich darüber toll und sagte zu mir: »Ich sehe immer mehr, daß mir ihn der Herrnhuter« (er meinte den Genius) »zu einer Milchsuppe eingerührt hat; und wenn Sie ihn nicht, Herr Hofmeister, ein bißchen kernhaft machen, so wird einmal ein weinerlicher Soldat herauskommen, der kaum zu einem Feldprediger taugt; denn auch der muß manchmal sich auf einen Kernfluch verstehen.« –
Den Herrnhuter brachte er im Kopfe nach dem Städtchen Issig, als folgendes Selbgespräch vor unserem Wagen vorbeiging: »Ich bin ein Esel und ein rechter Spitzbube von Hause aus, ich elender Schlingel. O ich Racker allzumal und verflucht-bekannter alter Höllenbrand! Sollte man mich denn nicht entzweisägen und braten, mich Teufel, mich Matz und Vieh!« sagte ein Schulknabe, den alle Schulkameraden umliefen und beklatschten. »Er spricht«, sagte mein Prinzipal, »wie eine herrnhutische Bestie, die sich heruntersetzt, um jeden andern noch mehr herabzusetzen.« Aber nicht im geringsten; ein armer Teufel wars, der Hunger hatte und Humor, und für welchen die ganze Schule Brotkrumen und Äpfel zusammengeschossen hatte, wenn er ihr den Gefallen täte und auf sich entsetzlich schimpfte….
– – Schönes Auenthal! dein Schnee ist schon weg? –
Sechzehnter Sekto r
Erzieh-Vorlegblätter
Da ich meine Pretiosen (Manuskripte warens) und meine Effekten (das Güterbuch derselben war über dreißig Zeilen dick) und mein Väterliches und Mütterliches (das war ich selber) in meiner Wohn- und Schulstube herumgestellet hatte; da ich schon vorher mit drei langen Schritten an meine Fensteraussicht getreten war, die in einer Windmühle, in der Abendsonne und einem Starenhäuschen an einer Birke bestand: so konnte ich sogleich ein ausgemachter Hofmeister sein, und ich durfte nur anfangen; – ich konnte jetzt die ganze Woche ernsthaft aussehen und meinen Zögling auch dazu nötigen – alle meine Worte konnten Wochenpredigten, alle meine Gesichter Gesetztafeln sein – ich hatte sogar zwei Wege vor mir, ein Narr zu sein: ich konnte eine unsterbliche Seele sich halbtot deklinieren, konjugieren, memorieren und analysieren lassen im Lateinischen – ich konnte aber auch seine junge Zirbeldrüse in höhere Wissenschaften eintunken und versenken, so sehr, daß sie ganz aufschwölle und sich groß anschluckte von Logik, Politik und Statistik – ich konnte mithin (wer wehrte es) die Beinwände seines Kopfes zu einem dürren Bücherbrett aushobeln, den lebendigen Kopf zu einem Silhouettenbrett, woran sich gelehrte Köpfe abschatten, entzweidrücken; sein Herz hingegen ließ sich verarbeiten aus einem Hochaltar der Natur zu einem Drahtgestell des alten Testaments, aus einer Himmelkugel zu einem engen Paternosterkügelchen der Frömmelei, oder gar zu einer Schwimmblase der Weltklugheit – wahrhaftig, ich konnte ein Tropf sein und ihn zu einem noch größern machen….
Dich Trauten! Dich Arglosen, Freundlichen, der du dich mit deinem ganzen Schicksal, mit deiner ganzen Zukunft in meine Arme warfst! – O es tut mir schon wehe, daß so viel von mir abhängt! –
Da aber vom Hofmeister meiner künftigen Kinder ebensoviel abhängt: so will ich für ihn hier folgende Erzieh-Vorlegblätter drucken lassen, die er nicht übelnehmen kann, weil ich den guten Mann ja noch nicht kenne und nicht meine.
»Mein lieber Herr Hofmeister!
Wär’ ich der Ihrige: so setzten Sie sich gewiß nieder und schrieben mir folgende recht gute Regeln auf:
Die Naturgeschichte sei das
Weitere Kostenlose Bücher