Saemtliche Werke von Jean Paul
stärksten aufnötigt und erleichtert. Nun taugen dazu durchaus keine unlustigen Leidenschaften – z. B. Furcht vor Tadel, vor Strafe etc. –, sondern freudige; spielend würden alle Mädchen von Scheerau das Arabische erlernen, wenn ihre Liebhaber in keiner andern Sprache an sie schrieben als in dieser synonymischen. Hoffnung des Lobs ist es, das Kindern (das Lob äußerer Vorzüge ausgenommen) weit weniger schadet als Tadel und gegen welches sich keines, am wenigsten das beste, verstecken kann. Ich will Ihnen hier sagen, was mein eigner Hofmeister für Erzieh-Ränke anwandte: er nähte sich ein Zifferbuch; in diesem gab er jedem Glied seines Lyzeums (19 waren es) für jede Arbeit eine große oder kleine Zahl; diese Zahlen erwarben, wenn sie auf eine gewisse festgesetzte Summe gestiegen waren, einen Adel- und Fleißbrief, worauf man sein Lob mit nach Hause nahm. Da Belohnungen kraftlos werden, die zu oft oder erst von weitem kommen: so setzte er auf diese geschickte Art den Weg zur entfernten Belohnung aus täglichen kleinen zusammen. Wir konnten ferner unsere Zahlen zusammensparen; und Kinder heftet nichts so sehr an Fleiß als ein wachsendes Eigentum (von Ziffern oder von Schreibbüchern). Solche Zahlen wegstreichen war Strafe. Er machte uns alle dadurch so fleißig, besonders mich, daß ich wenige Jahre darauf imstande war, eine Biographie zu schreiben, die noch jetzt gelesen wird.
Reden Sie mit meinen Lieben nie kurz, nie allgemein, sondern sinnlich, und erzählen Sie so ausführlich wie Voß seine Idyllen.
So hab’ ich die Poussiergriffel und Formzeuge an meinem Gustav gebraucht, wahrhaftig nicht, um ihn seiner Lebensbeschreibung, die ich verfaßte, sondern dem Leben anzupassen; ich wollt’ aber, der Henker holte das Menschenherz, das für eigne Kinder nicht tun will, was es für ein fremdes tat.
Meine Töchter hingegen, werter Herr Hauslehrer, die ältern sowohl als die jüngern, geb’ ich Ihnen nicht in die nämliche Schulstunde – Mädchen könnten mit Knaben ebensogut Schlafzimmer als Schulstube teilen – und in gar keine. Ein Hofmeister, der Mädchen zu erziehen wüßte (und Sie könnens), müßte so viel Welt, so viel Weiberkenntnis, so viel Witz, so viel launige Gewandtheit bei ebenso vieler Festigkeit besitzen – inzwischen erzieht eine recht gescheite Gouvernante die meinigen: häusliche Arbeit unter dem Auge einer gebildeten Mutter.
Ehe ich diese geheime Instruktion beschließe, merk’ ich noch an, daß sie ganz unnütz ist – erstlich für Sie, weil ein Mann von Genie auch mit jeder andern Methode allmächtig bleibt, zweitens für den lahmen Kopf, weil er Kindern die Geisteskräfte, er mags machen, wie er will, wie ein alter Schlafgenoß einem jungen die körperlichen, stets auszehren wird. Ich habe überhaupt diesen pädagogischen Schwabenspiegel lange vor meinen Kindern in die Welt vorausgeschickt – mithin gar nicht für Sie, sondern für ein Buch.« –
Nämlich für dieses.
Um meinem Prinzipal zu zeigen, was ich in der Erziehung getan hätte, sagt’ ich so: »Der Superintendent in Oberscheerau hat einen Wachtelhund, Hetz genannt, den er für keine Menagerie Schoßhunde weggibt. Nun sollte man denken, der Mann, da er Beichtkinder, eigne Kinder und Weine und indianische Hühner genug hat, wäre gut daran; aber falsch: Hetz leidet es nicht. Denn sobald die Suppe auf dem Tische raucht: so umschifft Hetz den Tisch, springt in die Höhe – seine Schnauze liegt dann wasserpaß in einer Ebene mit der Rehkeule – und billt und stochert mit dem Kopfe an jedes Knie so sehr, besonders ans geistliche, daß der Mann seines Orts wie in einem Fegefeuer fortschlucket und häufig nicht weiß, käuet er Zucker oder Salz. Es rettete ihn nicht, daß er oft den Hund selber anboll; die Radikalkur dagegen aber wäre bloß die, Hetzen nie einen Bissen zu geben. Er hielt es auch oft tagelang: aber in der nächsten Mahlzeit bewarf er aus Vergessen oder Unwillen den Plagegeist mit einem Knochen. Dieser einzige Knochen verhunzte den ganzen Hund. Dem Seelenhirten ist, besorg’ ich, so lange nicht zu helfen, bis Hetz, der von selbst sich nicht ändert, etwa verreckt. Mir hingegen begegnet Hetz mit Vernunft und Schonung: warum? – Solang ich an jenem Tische aß, schenkt’ ich Hetzen keine Faser, ohne Ausnahme. Auf Hetze und Menschen wirkt Festigkeit allmächtig. Wer keinen Hund erziehen kann, Herr Rittmeister, kann auch kein Kind erziehen; ich würde Hofmeister, welche in mein Brot wollten, an
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