Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
Parterremauer gibt es keine Thür; es hat überhaupt kein Geschoß eine eigentliche Thür, sondern ein Loch im Dache, durch welches man hinabsteigt. Treppen gibt es nicht, sondern nur Leitern, welche von Stock zu Stock außen anliegen und weggenommen werden können. Wer also in das Parterre will, muß zum ersten Stock hinauf- und dann durch das dort im Parterredache befindliche Loch hinuntersteigen. Die immer weiter zurückliegenden höheren Stockwerke bilden also eine Reihe gewaltiger Stufen, von denen man sich ein ungefähres Bild machen kann, wenn man sich hier bei uns einen Weinberg betrachtet, welcher sich etagenweise nach rückwärts in die Höhe hebt.
Zu dieser Bauart waren die alten seßhaften und arbeitsamen Urwohner durch die Nähe der räuberisch herumstreifenden wilden Horden gezwungen. So ein Pueblo bildet, so einfach sein Bau ist, eine Festung, welche durch die Angriffsmittel, die es damals gab, unmöglich eingenommen werden konnte. Man brauchte nur die Leiter wegzunehmen, so konnte der Feind nicht herauf. Und brachte er welche mit, so mußte er jedes vorhergehende Stockwerk erobern, ehe er seinen Angriff auf das nachfolgende, höhere richten konnte.
Diese Puebloindianer sind meist sehr friedlich gesinnt und stehen unter der Aufsicht von Agenturen. Es gibt aber Pueblobauten, welche einsam in fern- und abgelegenen Gegenden liegen; deren Bewohner betrachten sich als frei und sind genau so zu beurteilen und zu behandeln wie die ungezügelt herumziehenden Stämme. Zu dieser letzteren Art gehörte das Pueblo, welches sich unsre Reiter zum heutigen Ziele genommen hatten. Die Bewohner desselben waren wilde Nijoraindianer, deren Häuptling Ka Maku hieß. Ka heißt drei, und Maku ist der Plural von Finger; Ka Maku bedeutet also »Drei Finger«. Er trug diesen Kriegs- und Ehrennamen, weil er an der linken Hand im Kampfe zwei Finger verloren hatte und also nur noch drei besaß. Er war als ein tapfrer, aber habsüchtiger Krieger bekannt, auf dessen Wort und Freundschaft man sich in gewöhnlichen Zeiten vielleicht verlassen konnte; jetzt jedoch, wo verschiedene Stämme ihre Kriegsbeile ausgegraben hatten, war es jedenfalls gewagt, ihm rückhaltloses Vertrauen zu schenken.
Sein Pueblo lag einsam im Glanze der nun fast untergehenden Sonne. Es hatte außer dem Erdgeschoß fünf Etagen, welche sich mit ihrem Rücken an die senkrechte Wand des Berges lehnten. Zusammengesetzt waren die untern Stockwerke aus gewaltigen Felsstücken, welche durch Adobessteine verbunden waren; die oberen Etagen bestanden ausschließlich aus Luftziegeln. Der Bau war ganz gewiß mehr als ein halbes Jahrtausend alt, und noch zeigte sich nicht der kleinste Riß in demselben.
Man sah Frauen und Kinder auf den Terrassen sitzen, alle beschäftigt und sehr ernsten Gesichtes, wie es so Art der Roten ist. Ein aufmerksamer Beobachter hätte wohl bemerken können, daß diese Frauen, ja auch die Kinder, oft und geflissentlich nach Süden blickten, als ob sie von dorther ein wichtiges Ereignis erwarteten. Ein Mann oder gar Krieger war jetzt nicht zu sehen.
Da aber stiegen aus dem Loche der dritten Terrasse drei Personen, ein Roter und zwei Weiße hervor, welche auf dieser Plattform stehen blieben und ihre Aufmerksamkeit auch nach Süden richteten. Der Rote war Ka Maku, der Häuptling, eine lange, sehnige Gestalt mit der Rabenfeder im Schopfe. Sein Gesicht war nicht bemalt, ein Zeichen, daß sein Pueblo im Frieden lag; darum steckte auch nur das Skalpmesser in seinem Gürtel. Die beiden Weißen neben ihm waren – Buttler, der Anführer der zwölf Finders, und Poller, sein Gefährte, welcher der Führer der deutschen Einwanderer gewesen war. Als sich in der Richtung, in welche sie blickten, nichts sehen ließ, sagte Buttler:
»Noch nicht; aber sie kommen jedenfalls noch vor Anbruch des Abends.«
»Ja, sie werden sich beeilen,« stimmte der Häuptling bei. »Es sind kluge Männer bei ihnen, welchen nicht entgehen wird, daß ein Wetter naht; darum werden sie ihren Ritt beschleunigen, um hier zu sein, ehe es hereinbricht.«
»Du wirst also Wort halten? Ich darf mich auf dich verlassen?«
»Ich lüge nicht gegen dich. Du bist seit langer Zeit mein Bruder gewesen, und ich werde ehrlich gegen dich sein. Doch hoffe ich, daß ich mich auch auf dich verlassen kann und den Lohn erhalte, welchen du mir versprochen hast.«
»Ich habe dir meine Hand darauf gegeben; das ist so gut wie ein Schwur. Sorge nur dafür, daß ich baldigst und ungesehen mit dem
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