Säule Der Welten: Roman
ihr gelassen hatte, lagen auf dem Tisch. Sie tastete nach ihren anderen Sachen, aber die hatte der Mann offenbar weggeräumt. Da waren sie, auf einem anderen Tisch - gleich neben der Tür, die jetzt geöffnet wurde.
Unter normalen Umständen wäre Veneras erste Regung gewesen, sich zu ihrer vollen Größe von einem Meter siebzig aufzurichten und die Männer bei ihrem Eintritt mit einem strafenden Blick zu empfangen. Es handelte sich immerhin um Dienstboten, auch wenn sie bewaffnet waren. Venera war fest überzeugt, jeden Angehörigen der Arbeiterklasse kontrollieren zu können, wenn sie Blickkontakt hatte und mit ihm sprechen konnte.
Jedenfalls war sie dieser Überzeugung einmal gewesen. Die jüngsten Ereignisse - besonders die unerfreuliche Episode mit Kapitän Dentius von den Winterpiraten - hatten sie vorsichtiger gemacht. Außerdem war sie überall wund und hatte stechende Kopfschmerzen.
Also raffte sie die Kerze, ihre Jacke und den Schmuck an sich und kroch damit unter den Tisch. Die Seilschlinge rieb an ihrer entzündeten Haut; sie musste mehrmals daran ziehen, bis die mysteriöse Klappe aufging. Sie streckte den Fuß in die Öffnung und ertastete eine Metallstufe. Als die Männer in Diamandis’ Behausung stürmten, warf sie das feuchte Laken hinter sich. Mit etwas Glück legte es sich über die Luke und verbarg sie.
Die Kerze flackerte und wäre fast erloschen. Venera schützte sie mit einer Hand und suchte zaghaft nach
der nächsten Stufe. Sie zählte sieben Stufen, bevor sie den Metallboden erreichte. Hier wehte ein eiskalter Luftzug, und ein beständiges leises Rauschen erschwerte es ihr zu hören, was oben vorging.
Der kleine Raum war oval, an der Decke breiter als am Boden, und hatte ringsum Fenster. Alle Scheiben schlossen bündig mit der Wand ab, aber zwei vibrierten rasend schnell und schnarrten dabei leise. Sie schienen Luft abzusaugen, während die Kälte von draußen durch die Mauern hereinsickerte.
Diamandis benützte diese Kammer offenbar als Lagerraum, denn überall stapelten sich Kisten. Venera suchte sich einen Weg ans andere Ende, dort war auf dem Boden ein Metallstuhl festgeschraubt. Hier waren die Fenster besonders imposant: sie reichten vom Boden bis zur Decke und bestanden aus einem elastischen Material, das sie noch nie gesehen hatte.
Im Kerzenschein glaubte sie auf der anderen Seite des Glases dichtes Laubwerk zu erkennen.
Wenn sie nicht bald etwas zum Anziehen fand, würde sie noch erfrieren. Venera durchwühlte die Kisten und betrachtete abwechselnd fluchend oder erstaunt die Backen aufblasend das merkwürdige Sammelsurium von kaputten Uhren, abgelaufenen Schuhen, rostigen Türangeln, ausgefransten Federkielen, schimmligem Nähzeug, Socken und Gürtelschnallen. Eine Kiste enthielt nur Einbände von Büchern. Die Buchblöcke waren systematisch herausgerissen worden. Es war eine kleine Bibliothek von faszinierenden, aber nutzlosen Titeln. Eine andere Kiste war voll mit vermodernden Soldatenuniformen, darunter auch Halftern und Schwertscheiden, alles mit dem gleichen Wappen versehen.
Immerhin wurde ihr beim Suchen warm, tröstete sie sich. Von oben waren weiterhin leise Stiefeltritte zu hören, also nahm sie sich einen neuen Stapel vor. Diesmal wurde sie belohnt, denn alle Kisten enthielten Kleidung. Nachdem sie das meiste auf den Boden gekippt hatte, entdeckte sie eine steife Lederhose, zu klein für Diamandis, aber groß genug für sie selbst. Sie kam jedoch nicht so ohne weiteres hinein - das harte Material schürfte die ohnehin schon wunde Haut noch weiter auf, so dass jede Bewegung schmerzte. Allerdings hielt das Leder den Wind ab.
Venera schlüpfte in ihre Fliegerjacke, dann setzte sie sich auf den Metallstuhl und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Das fiel ihr viel schwerer; einfach nur stillzusitzen widersprach ihrem Naturell. Dabei geriet man ins Grübeln, und das weckte wiederum Gefühle, die nur selten angenehm waren.
Sie zog die Knie hoch und legte die Arme um die Schienbeine. Wenn die Männer Diamandis mitnahmen und sie diesen Raum nicht verlassen konnte, würde sie hier sterben, und niemand würde je erfahren, was aus ihr geworden war. Nicht dass es viele gab, die das kümmerte, einige würden sogar frohlocken. Venera wusste, dass sie nicht sonderlich beliebt war.
Oben wurde weitergetrampelt. Sie fröstelte. Wie weit war sie von ihrem Haus in Slipstream entfernt? Fünftausend Kilometer? Sechstausend? Ein Ozean aus Luft lag zwischen ihr und ihrem Ehemann,
Weitere Kostenlose Bücher