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Säule Der Welten: Roman

Säule Der Welten: Roman

Titel: Säule Der Welten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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sie in die Hüfte gestützt; selbst hier, ohne Publikum, warf sie sich zum Nachdenken in Positur.
    Sie brauchte Schuhe, aber die wichtigen Dinge - den Schlüssel zu Candesce und ihre Kugel - hatte sie gerettet. Venera war sich durchaus bewusst, dass sie von dieser Kugel besessen war, aber wer wäre das nicht, pflegte sie sich zu verteidigen, wenn so ein Ding mehr als zweitausend Kilometer quer durch Virga geflogen war, um dann aufs Geratewohl ein Fenster zu durchschlagen
und sich in ihren Unterkiefer zu bohren? Dieses Geschoss war irgendwo in einem Krieg oder auf einem Jagdausflug abgefeuert worden und hatte sein Ziel verfehlt; da weder Schwerkraft noch fester Boden es aufhalten konnten, war es immer weiter geflogen, bis es ihr begegnet war. Von dieser Begegnung hatte Venera eine Narbe zurückbehalten, Kopfschmerzattacken, die sie in regelmäßigen Abständen lahmlegten, und eine Ausrede für ihre eigene Bösartigkeit. Sie hatte die Kugel aufbewahrt und im Lauf der Zeit ein unstillbares Bedürfnis entwickelt zu erfahren, woher sie gekommen war. Sie stritt nicht ab, dass dieser Wunsch nicht unbedingt normal war.
    Sie klopfte auf ihre Jacke und ertastete den schweren Inhalt; dann schlüpfte sie an den Stufen vorbei in den schmalen Durchgang und ließ Diamandis und seine Verfolger in ihrem kleinen Drama allein zurück.
     
    Es war mehr ein Kriechgang als ein Korridor. Venera ging gebückt und zischte vor Schmerz, wenn das alte Leder an ihren Knien und Hüften rieb. Warum hatte man hier keine vernünftige Kleidung? Der Gang schlängelte sich, nur hin und wieder von einem Bullauge erhellt, mehr als hundert Meter weiter, bevor er an einer runden Metalltür endete. Alles wirkte so penetrant verlassen - es stank nach Rost und anorganischem Verfall -, dass Venera sich das Anklopfen sparte und gleich das kleine Rad in der Mitte drehte und dagegendrückte.
    Der Raum, in den sie hinabstieg, war ein Spiegelbild der Blase, die sie eben verlassen hatte. Fast rechnete sie damit, hinter der Treppe auf ein weiteres Kistenlabyrinth zu treffen, um darüber in einer Bruchbude voller
Gerümpel herauszukommen und von einem zweiten Garth Diamandis erwartet zu werden. Aber nein, diese Blase war bis auf zehn Zentimeter Wasser und eine widerwärtige Ansammlung von Schimmelflecken und Spinnweben leer. Die Fenster waren trüb, ließen aber genügend Licht für den winzigen Wald durch, der sich alle Mühe gab, den Metallstuhl am anderen Ende zu überwuchern. Die Treppe war von Erdreich und Wurzeln blockiert.
    Die Vorstellung, mit bloßen Füßen in diese abscheuliche Suppe zu treten, hätte sie fast umkehren lassen. Was sie zurückhielt, war ein winziger Lichtstreifen inmitten des Erdpfropfens über den Stufen. Nachdem sie vorsichtig und von Ekel geschüttelt durch die stinkende Brühe gewatet war, griff sie nach oben und zog an den Wurzeln. Langsam entstand in einem Regen aus Erde, Würmern und faserigen Knollen ein Loch, groß genug, dass sie sich hindurchzwängen konnte. Wenig später zog sie sich hinauf und stand schließlich auf einer Wiese im Freien.
    Um Diamandis tat es ihr leid, aber mit etwas Glück war er noch unterwegs, und die Eindringlinge wären nicht mehr da, wenn er zurückkehrte. Jedenfalls war er für seine Fürsorge mehr als großzügig entschädigt worden; was er aus ihrer Jacke entwendet hatte, war ein kleines Vermögen an Edelstein- und Keramikschmuck gewesen. Sie hoffte fast, dass die lärmenden Einbrecher das Zeug fänden - es geschähe ihm recht.
    Venera wusste, wohin sie jetzt wollte. Spyre war ein Zylinder, er hatte zwei Enden, und das eine war nur knapp einen Kilometer entfernt. Dort wölbte sich das künstliche Gelände über mehrere Hundert Meter nach
oben und hätte irgendwann die Öffnung verschlossen, endete aber in einer breiten Galerie, über und hinter der Virgas Winde brausten. Venera brauchte nur diesen Hang zu erklimmen und über den Rand zu springen, schon wäre sie wieder im freien Fall. Auf Piranfalken und Heckenschützen musste sie es ankommen lassen. Sie bezweifelte, dass die einen wie die anderen eine kleine Frau erwischen könnten, die sich mit einer Geschwindigkeit von siebenhundertfünfzig Stundenkilometern von Spyre entfernte.
    In diesem Fall wäre die Lederkleidung sehr nützlich.
    Zwischen Venera und dem Rand der Welt lag ein Flickenteppich aus verschiedenen Anwesen. Jeweils zwei oder drei Morgen waren von brüchigen Steinmauern, hohen Hecken, Türmen und Gräben umgeben, um sie vor den

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