Säule Der Welten: Roman
Übergriffen gieriger Nachbarn zu schützen. Bedingt durch die Raumnot und, wie Venera ahnte, eine tief sitzende Paranoia, hatten sich die Grundrisse im Lauf der Zeit sehr ähnlich entwickelt - die größeren Besitzungen waren eingefriedet, freie Felder wurden von Bäumen umschlossen, und in der Mitte standen Türme, Nebengebäude und Gewächshäuser kunterbunt durcheinander; bei kleineren Gütern war oft die gesamte Fläche mit einem einzigen quadratischen Gebäude belegt. Diese Bauten waren an der Außenseite fensterlos, aber wenn sie an der Krümmung entlang nach oben schaute, sah sie, dass die meisten Innenhöfe hatten, die vollgepfropft waren mit Bäumen, Springbrunnen und Skulpturen.
Manchmal waren die Mauern nur durch fünf Meter Niemandsland voneinander getrennt. Venera rannte
durch diese von Unkraut überwucherten Gassen, umging junge Bäume und passierte eisenbeschlagene Bunkertore, die sich wie kastenförmige Rüstungen zu beiden Seiten des schmalen Streifens gegenüberstanden. Der Untergrund war tückisch, und sie vermutete, dass es auch Fallen gab.
Venera war an höhere Schwerkraft gewöhnt, als sie in Spyre herrschte. Trotz Müdigkeit und Schmerzen sprang sie mühelos auf drei Meter hohe Steinmauern und lief oben entlang, bevor sie sich auf der anderen Seite ins Gras fallen ließ. Sie spürte kaum die Ziegel, Wurzeln oder Steine unter den Füßen, wenn sie im Zickzack um die Bäume rannte und unter Fenstern, die in Candesces erstem Licht gelb erstrahlten, um offene Teiche spurtete. Und zugleich staunte sie darüber, dass es solche Entfernungen überhaupt gab; sie war noch nie so weit geradeaus gelaufen und konnte es kaum fassen.
Die Vögel waren die Einzigen, die ihre Stimmen erhoben, doch nach einer Weile hörte Venera vor sich ein tiefes Rauschen und Tosen. Es kam vom Rand der Welt und wurde vom ersten Hauch einer Brise begleitet.
Überraschte Ausrufe ertönten, als ihre bloßen Füße nasses Gras küssten und sie über einen fanatisch gepflegten Rasen lief. Venera drehte den Kopf zur Seite und sah flüchtig mehrere Männer und Frauen auf verschnörkelten Eisenstühlen in der Morgensonne sitzen und Tee oder etwas Ähnliches trinken.
Nun standen sie auf - ihre steifen Prunkgewänder rasteten in der neuen Stellung ein wie herunterkrachende Fallgitter -, und die drei Männer brüllten: »Einbrecher!«, als wäre Venera eine ganze Piratenarmee.
Gleich darauf schrillten dahinter im Innern des hohen Steinhaufens die Sirenen.
»Ach nein !« Sie keuchte vor Erschöpfung, und alles drehte sich um sie. Aber sie brauchte nur noch zwei Anwesen zu durchqueren, dann wäre sie an dem Hang, der zum Rand der Welt hinaufführte. Sie raffte sich zu einem letzten Spurt auf, vorbei an weiteren aufleuchtenden Fenstern und sich öffnenden Türen, und nahm zerstreut zur Kenntnis, dass der unerwartet große Trupp Soldaten, der aus den Türen des ersten Hauses gequollen war, an der Grundstücksgrenze so jählings angehalten hatte, als wäre er in einen unsichtbaren Zaun gekracht.
Sie brauchte also nur dem Alarm auf den jeweiligen Besitzungen davonzulaufen. Es war wie ein Spiel, und das Wettrennen hätte ihr sogar Spaß gemacht, wäre sie nicht vor Erschöpfung und wegen der Nachwirkungen des Sonnenstichs einer Ohnmacht nahe gewesen. Sie hatte nicht einmal mehr genügend Luft, um diese Idioten im Vorüberlaufen zu verspotten!
Als sie das letzte Anwesen passierte, krachten Schüsse. Es war eines der großen Einzelgebäude, graues Asteroidengestein, von glänzenden Metalladern durchzogen. Die einzigen Außenfenster waren Schießscharten, die ersten in fünf Metern Höhe. Türen sah sie keine. Auf der anderen Seite des Hauses winkten freie Wiesenflächen, die sich bereits nach oben wölbten; sie stolperte auf das »umstrittene Gebiet«, wie Diamandis es genannt hatte, und blieb stehen, um zu verschnaufen. »Ha! In Sicherheit!«
Das schrille Winseln des Windes war nun andauernd zu hören. Böen jagten an ihr vorüber. Über den Lücken
und Löchern in Spyres Außenhülle drehten sich kleine, ortsfeste Windhosen. Je steiler sich der Hang zur Kante hin wölbte, desto häufiger wurden solche Löcher. Die Kante selbst war unregelmäßig gezackt, eine Aneinanderreihung von eingebrochenen Galerien, aufragenden Holmen und hin und her schlagenden Platten, die den Lärm noch verstärkten.
Venera hörte noch etwas. Ein gleichmäßiges Knarren, das von oben zu kommen schien. Sie hob den Kopf.
Sechs Holzplattformen waren über die
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