Säule Der Welten: Roman
Kante des Steinwürfels geschwenkt worden und wurden jetzt mit einer Winde abgelassen. Auf jeder Plattform drängten sich Männer in hohen Stahlhelmen und seltsamen, mit Stacheln gespickten Brustpanzern. Sie umklammerten Spieße und Flinten, deren Läufe länger waren als sie selbst. Einige von ihnen deuteten aufgeregt in ihre Richtung.
Venera fluchte inbrünstig und rannte den geröllbedeckten Hang hinauf. Sie hatte den Wind im Rücken, und er wurde immer stärker, je näher sie der Kante kam. Dann rissen ihr mehrere Böen hintereinander die Füße weg. Auf den letzten Metern vor der Kante lag Spyres Metallhülle vollkommen frei. Auf der Fläche dahinter waren nur größere Felsbrocken verstreut. Soeben rollte ein Stein so groß wie ihr Fuß über das Metall hinauf und wurde davongetragen. Nur wenige Meter noch, dann würde der Wind auch sie erfassen.
Sie sank mit dem Fuß ein, und ihre Bewegungen wurden lächerlich langsam. Als sie sich mühsam wieder aufrichtete, sah sie, dass sie eine Platte nach unten gebogen hatte, die nun in dem dabei entstandenen quadratischen Loch wie wild vibrierte. Dann verschwand
sie mit einem lauten Knall, und in der hellen Öffnung heulte ein Hurrikan.
Venera wurde angesaugt und rutschte nach vorne, bis sie genau über dem Loch war. Sie stemmte sich zu beiden Seiten mit den Händen ein. Die Luft raste wie mit schrillen Schreien an ihr vorüber. Sie drängte noch leidenschaftlicher von Spyre fort als Venera selbst. Sekundenlang starrte sie nach unten. Sie wollte wissen, was sie erwartete, wenn sie die Kante erreichte und sprang.
Unter dem Rand der Welt ragten viele lange Balken Fahnenstangen gleich nach draußen. Dazwischen waren Drahtnetze gespannt, die sich im rasenden Wind blähten; wer in diesen Netzen hängen blieb, würde ersticken, bevor man ihn wieder hinaufziehen konnte. Weit dahinter war die Luft vor den vorbeijagenden Wolken mit Tausenden von schwarzen Punkten durchsetzt und von grauschwarzen Adern durchzogen. Minen? Noch mehr Stacheldraht? Diamandis hatte also doch nicht gelogen.
»Verdammte Scheiße!« Sie wollte noch weitere Flüche kreischen - alles, was ihr nur einfiel -, aber der Wind riss ihr die Luft aus den Lungen. Gleich würde sie ohnmächtig in das Loch stürzen und sterben.
Starke Hände packten sie an Armen und Beinen und zogen sie zurück. Irgendjemand warf sie sich über die Schulter und schleppte sie kurzerhand den Hang wieder hinunter. Mit jedem harten Schritt entfernten sich ihre ausgestreckten Finger weiter von der Freiheit, der Heimat und von Chaison.
3
Prinz Albard war Veneras Lieblingsonkel, aber sie bekam ihn nicht sehr oft zu sehen. Er war eine geheimnisvolle Gestalt, die bei Hof nur am Rand in Erscheinung trat. Wenn er mit seiner Jacht nach Hale gerauscht kam, unterhielt er seine kleine Nichte mit Geschichten von fremden Städten und exotischen Frauen, die er dort kennengelernt hatte (wobei er immer seufzte, wenn er auf dieses Thema kam.) Eine Säbelnarbe zog sich der Länge nach durch sein Gesicht und verzerrte seine Lippen zu einem ständigen höhnischen Grinsen. Im Gegensatz zu den meisten Leuten, die mit ihm zusammenkamen, wusste Venera, dass das Grinsen tatsächlich echt war - dass er insgeheim über die verzweifelte Sinnlosigkeit und die kleinlichen Attacken des Lebens lachte. In dieser Hinsicht war er das genaue Gegenteil ihres Vaters, bei dem jeder Gedanke durch eine Linse des Argwohns gebündelt wurde; möglicherweise war das der Grund, warum sie an Albards Rockschößen hing, sooft er sich blicken ließ, und die bizarren Puppen und anderen Spielsachen, die er ihr mitbrachte, besonders hoch in Ehren hielt.
Der Vagabundenprinz im bunten Rock und die schmollende Prinzessin, die ihre Kleider systematisch verschliss, kaum dass sie sie angezogen hatte, waren verwandte
Seelen. Vielleicht war es deshalb ganz natürlich, dass sich Albard, als es ernst wurde, ausgerechnet in ihrem Schlafzimmer verschanzte.
Er bemerkte sie erst, nachdem er ihren Schrank vor die Tür geschoben und ringsherum Stühle und Tische aufeinandergestapelt hatte. »Verdammt, Mädchen, was machst du denn hier?«
Venera legte den Kopf schief und sah ihn mit schmalen Augen an. »Das ist mein Zimmer.«
»Verdammt, ich weiß, dass es dein Zimmer ist. Solltest du nicht im Unterricht sein?«
»Ich habe den Hauslehrer gebissen.« Zum Stubenarrest verdonnert, hatte sie aus Langeweile (nicht im Zorn, sondern eher aus wissenschaftlichem Interesse) gerade einige ihrer Puppen
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