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Säule Der Welten: Roman

Säule Der Welten: Roman

Titel: Säule Der Welten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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gebracht, einen besseren Schrank, angesichts dessen sie sich fragte, ob Diamandis’ Packrattenverhalten hier nicht eher die Regel wäre als die Ausnahme. Odess hatte den kleinen Raum über Jahre, womöglich gar im Lauf seines ganzen Lebens, mit Krimskrams vollgestopft, lauter Andenken, die wahrscheinlich niemandem außer ihm selbst irgendetwas bedeuteten. Wozu bewahrte man etwa einen einzelnen Schuh auf und befestigte ihn wie eine Trophäe in einer eigenen kleinen Wandnische? Wer konnte die verblasste Schrift auf den Diplomen noch lesen, die hinter seinem Stuhl hingen? Und war das, was da im Halbdunkel von der Decke hing, ein exotisches Mobile oder nur die mumifizierten Überreste irgendeines Tieres? Überall lagen Bücher herum, und neben einer aufgerollten Matratze waren Teller und Schüsseln zu einem meterhohen, schwankenden Turm gestapelt.
    Odess’ erste Worte waren nicht an Venera gerichtet, sondern an Moss. »Sie erwarten, dass wir diese … diese Außenseiterin in unserer Mitte dulden?«
    »Ist denn nicht g-genau d-das Ihre Aufgabe?«, hatte Moss gefragt. »Nach d-draußen zu g-gehen?« Venera hatte ihn überrascht von der Seite angesehen. War hinter diesem glasigen Blick am Ende doch jemand zu Hause?
    »A-außerdem hat es die B-botanikerin befohlen.«
    »O Gott.« Odess hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. »Sie glaubt, sie kann sich jetzt alles erlauben.«

    Odess geriet schon bei der kleinsten Abweichung von einer Routine oder einer Gewohnheit in Panik. Schon Veneras Anwesenheit allein erschütterte ihn, dabei hatte sich der Rest der Delegation geradezu rührend gefreut, sie kennenzulernen. Sie hätten bis zum Morgengrauen gefeiert, wenn sie sich nicht entschuldigt und darauf hingewiesen hätte, dass sie das Zimmer, in dem sie für den Rest ihres Lebens schlafen sollte, noch nicht einmal gesehen hatte.
    Eilen, Herrin über Maße und Gewichte, hatte Venera zu einem Kämmerchen gleich vor dem langen, mit Aktenschränken gesäumten Büro der Delegation geführt. Der Raum hatte etwas mehr als zwei Meter Seitenlänge - die Wände waren aus Steinen gemauert und weiß getüncht - und war etwa dreieinhalb Meter hoch. Er bot Platz für ein Bett und ein Tischchen, ein Fenster gab es nicht. »Sie können Ihre Truhe unter das Bett schieben«, sagte Eilen, »wenn Sie sie bekommen. Ihre Kleider können Sie vorerst an diese Haken hängen.«
    Und das war alles. Venera war keine mitfühlende Seele, sonst hätte sie der Gedanke, dass Eilen, Odess und die anderen solche Bedingungen als Normalität akzeptierten, mit Trauer erfüllt. Immerhin waren sie wahrscheinlich in solch winzigen Zellen geboren und aufgewachsen. Ihr Spielplatz waren staubige Dienstbotengänge, ihr Schulzimmer Fensternischen gewesen. Dennoch waren sie unter Liris’ Bürgern privilegiert, denn als Angehörige der Delegation durften sie etwas von der Welt jenseits der Mauern sehen.
    Während Odess aufgeregt zu erklären suchte, warum die Tradition verlangte, dass sie in voller Amtstracht nach Klein-Spyre hinaufführen, sah Venera den Soldaten
zu, die ihre kostbare Fracht auf die Plattform stellten. Nachdem auch der Rest der Delegation zugestiegen war, wurden (zu ihrer Erleichterung) auf allen Seiten Gitter hochgeklappt, und ein Soldat beugte sich hinunter, um den archaischen Motor zu inspizieren. Daran war Venera am meisten interessiert.
    »Wenn alle bereit sind, können wir die ›Himmelfahrtshymne‹ singen«, erklärte Odess bedeutungsschwer.
    Venera drehte sich um. »Was?«
    Er sah sie an, als hätte sie ihn geohrfeigt - aber Eilen legte ihm die Hand auf den Arm. »Wir haben ihr nichts davon erzählt, woher soll sie es wissen?«
    »Jedermann in ganz Spyre kann uns hinauffahren sehen und hören …« Er erkannte seinen Fehler. »Ach ja. Eine echte Ausländerin.« Er schüttelte sich, legte beide Hände auf das Gitter und blies die Backen auf. »Also, hören Sie gut zu, damit Sie lernen, wie es in einer zivilisierten Gesellschaft zugeht.«
    Während sie ihr Liedchen trällerten, startete der Soldat den riesigen Umlaufmotor. Das Rattern und Dröhnen übertönte den winzigen Chor sofort, aber die Sänger schienen das gar nicht zu bemerken. Das Rad drehte sich, erfasste das Kabel, und die Plattform setzte sich langsam in Bewegung.
    Der Zweck der Gitter wurde bald deutlich. Nur wenige Meter über dem Dach gerieten sie in die Randzone des heulenden Sturms, der auf Spyres offenes Ende zuraste. Venera wusste, dass dieser ständige Hurrikan durch die

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