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Säule Der Welten: Roman

Säule Der Welten: Roman

Titel: Säule Der Welten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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Stabilität brauchte. Sie durfte in die Entscheidung nicht allzu viel hineinlesen. Sacrus könnte seine Meinung genauso leicht wieder ändern und sie jederzeit töten lassen.
    Die Gründe spielten ohnehin keine Rolle. Sie hatten Garth - sie hatte keinen Anlass, daran zu zweifeln -, und wenn sie nicht unverzüglich nach Spyre zurückkehrte, wäre sie schuld an seinem Tod.
    Als die erste Empörung sich etwas gelegt hatte, setzte sich Venera auf einen Diwan. Sie griff in ihre Jackentasche, holte die Kugel heraus und drehte sie eine halbe Stunde lang zwischen den Fingern. Als Candesce in der Ferne allmählich heller wurde, traf sie ihre Entscheidung.
    Sie steckte den Dolch in ihre Weste zurück.
    Dann nahm sie die Flügel aus dem Schrank und trat auf den Korridor hinaus. Brydda saß in einem Ohrensessel unter einem hohen Bleiglasfenster und schlief. Venera ging an ihr vorbei zur Dienstbotentreppe und stieg zum Dach hinauf.
    Im goldenen Schein der erwachenden Ersten Sonne sprang sie bei niedriger Schwerkraft ab und überließ sich den starken Winden.
    Sie wurde emporgehoben und verlor rasch an Gewicht. Der Wind trug sie vom rotierenden Habitat fort. Hoch über den Gebäuden, zwischen gewundenen Kabeln und schwebenden Vögeln, kehrte sie der Wohnung und der Handelsdelegation von Buridan den Rücken. Sie wandte sich auch von Garth Diamandis
ab und strebte der Residenz des Botschafters von Slipstream zu.
     
    Während des Fluges hatte sie sich verschiedene Szenarien durch den Kopf gehen lassen. Sie könnte sich als die in Scheidung lebende Ehefrau eines Besatzungsmitglieds der Krähe ausgeben und sich händeringend und mitleidheischend nach dem Schicksal der Expedition erkundigen.
    Allerdings verstand sich Venera Fanning nicht allzu gut darauf, Mitleid zu heischen. Außerdem könnte man sie mit Fug und Recht fragen, was sie Tausende von Kilometern von Slipstream entfernt zu suchen hatte.
    Sie könnte auch als Handelsreisende auftreten. Aber warum sollte sie dann nach der Expedition fragen? Vielleicht sollte sie sagen, sie stamme nicht von Slipstream, sondern von Hale, sei mit Venera Fanning entfernt verwandt und wolle wissen, was aus ihr geworden sei.
    Venera entwarf noch weitere Strategien, während sie neben den hohen, überreich verzierten Türen zu den Amtsräumen des Botschafters wartete. Sobald sie das Schloss klicken hörte, schlüpfte sie hinein und sagte zu dem überraschten Sekretär: »Mein Name ist Venera Fanning. Ich muss mit dem Botschafter sprechen.«
    Der Mann wurde weiß wie eine Wand und rannte praktisch im Laufschritt zu den inneren Räumen. Laute, aufgeregte Stimmen waren zu hören. Endlich streckte er den Kopf aus der Tür und sagte: »Man darf Sie hier nicht sehen.«

    »Wenn ich beschattet werde, ist es schon zu spät.« Sie schloss die äußere Tür und ging auf die innere zu. Der Sekretär riss sie auf und trat zur Seite.
    Der Botschafter von Slipstream war eine Frau in mittleren Jahren mit eisengrauem Haar und den strengen Zügen, die man sonst nur von misstrauischen Tanten, Schuldirektorinnen und Moralaposteln kannte. Sie sah Venera grimmig entgegen und wies auf einen der roten Ledersessel vor ihrem dunklen Teakschreibtisch. »Sie sind also am Leben«, sagte sie und ließ sich auf ihrer Seite schwerfällig auf einem Stuhl nieder.
    »Warum denn auch nicht?« Venera wurde plötzlich von einer Unruhe erfasst, die an Panik grenzte. »Was ist mit den anderen?«
    Die Botschafterin warf ihr einen prüfenden Blick zu. »Sie wurden von der Expedition Ihres Gatten getrennt?«
    »Ja. Ich habe nichts gehört. Nur … Gerüchte.« »Der Expeditionstrupp wurde vernichtet«, sagte die Botschafterin mit betretener Miene. »Das Flaggschiff Ihres Gatten hat offenbar einen Schlachtkreuzer der Falken gerammt, es gab eine gewaltige Explosion, und dabei wurden beide Schiffe in Stücke gerissen. Man nimmt an, dass niemand überlebt hat.«
    »Verstehe …« Venera fühlte sich so elend, als hätte sie die Nachricht zum ersten Mal gehört.
    »Das glaube ich nicht«, sagte die Botschafterin. Sie schnippte mit den Fingern, und der Sekretär verließ den Raum und kehrte mit zwei gefüllten Weingläsern auf einem Silbertablett zurück.
    »Sie sind in einem ungünstigen Moment wiederaufgetaucht«, fuhr die Botschafterin fort. »Eines von den
Schiffen Ihres Mannes hat es nämlich doch geschafft, nach Rush zurückzukehren. Vor zwei Wochen kam die Trennung in den Hafen gehumpelt, den Rumpf voller Löcher. Man dachte natürlich,

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