Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
erstmal etwas Häßliches sehen, bevor ich mir etwas anderes vorstellen kann als eine Erwachsene, die durchbrennt. Wobei meine Chancen, zum Helden zu werden, gleich null sind.«
    »Was meinst du damit?«
    »Leute, die durchbrennen, wiederzufinden, ist in jedem Fall eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt. Die Reichen sind die allerschlimmsten, weil sie sich ihre Regeln selbst machen. Sie bezahlen bar, fangen keine Jobs an, nehmen keine Kredite auf, lassen all das sein, was eine Papierspur hinterläßt. Was gerade bei Ramp und der Kleinen zu beobachten war, ist ein typisches Beispiel. Der normale Ehemann wüßte viel besser über die Kreditkarten und Sozialversicherungsnummer seiner Frau Bescheid; das normale Ehepaar lebt in Gütergemeinschaft. Diese Leute hier leben getrennt, jedenfalls was das Geld angeht. Die Reichen kennen die Macht des Dollars, sie sperren ihre Finanzen weg und schützen sie wie einen vergrabenen Schatz.«
    »Getrennte Kosten und getrennte Schlafzimmer«, sagte ich.
    »Echte Intimität, hm? Er scheint sie nicht zu kennen. Ich frage mich, wieso sie ihn überhaupt geheiratet hat, die Kleine hat völlig recht.«
    »Vielleicht hat sie sich in seinen Schnauzbart verliebt.«
    Ein kurzes, trauriges Lächeln umspielte seine Mundwinkel, dann ging er zur Tür. Als er einen Blick zurück in den fensterlosen Raum warf, sagte er: »Entworfen, damit man sich besser konzentrieren kann. Ich könnte es hier nicht lange aushalten, ohne verrückt zu werden.«
    Ich dachte an einen anderen fensterlosen Raum. »Apropos Innenarchitektur, als ich drüben in der Gabney-Klinik war, hat mich die Ähnlichkeit zwischen Ursula Gabneys Praxis und Ginas Wohnzimmer überrascht: genau dieselben Farben, derselbe Möbelstil. Und der einzige Kunstgegenstand in Ursulas Arbeitszimmer war eine Lithographie von Mary Cassatt, Mutter und Kind.«
    »Also, was bedeutet das, Doktor?«
    »Ich weiß es nicht genau, aber wenn es ein Geschenk war, ist es ein höllisch großzügiges Geschenk. Das letztemal, als ich in einem Auktionskatalog nachgeblättert habe, wurden für die Drucke der Cassatt Höchstpreise bezahlt.«
    »Wie hoch?«
    »Zwanzig bis sechzig Riesen für schwarzweiß, ein Farbdruck würde mehr kosten.«
    »Der der Doktorin ist auch ein Farbdruck?«
    Ich nickte. »Dem von Gina sehr ähnlich.«
    »Sechzigtausend«, rechnete er, »nehmen Therapeuten Geschenke an? Wie denkt man zur Zeit darüber?«
    »Es ist nicht illegal, aber es gilt im allgemeinen als unanständig.«
    »Du meinst, da ist irgendeine Art von Hypnose im Spiel?«
    »Vielleicht nichts so Gefährliches«, sagte ich, »nur ein übermäßiges Engagement, Besitzansprüche. Ursula scheint neidisch auf Melissa zu sein, so wie ein Geschwisterteil manchmal neidisch auf den anderen ist, fast als ob sie Gina ganz für sich haben wollte. Melissa hat das gespürt. Andererseits ist es vielleicht nur beruflicher Stolz. Die Behandlung ist intensiv gewesen. Sie hat Gina sehr gefördert und ihr Leben verändert.«
    »Ihre Möblierung auch.«
    Ich zuckte die Achseln. »Vielleicht überinterpretiere ich das oder sehe es aus der falschen Perspektive. Patienten beeinflussen auch ihre Therapeuten. Das heißt Gegenübertragung. Ursula könnte ihren Cassatt gekauft haben, weil sie Ginas gesehen hat, und er gefiel ihr. Bei den Honoraren, die die Klinik verlangt, könnte sie ihn sich bestimmt leisten.«
    »Teurer Laden?«
    »Superteuer. Wenn beide Gabneys arbeiten, verlangen sie fünfhundert Dollar pro Stunde von einem Patienten. Dreihundert er selbst und zweihundert sie.«
    »Hat sie noch nie etwas von dem Spruch ›Gleiches Geld für gleiche Arbeit‹ gehört?«
    »Ihre Arbeit ist mehr als gleich. Ich habe den Eindruck, daß sie die meiste Therapiearbeit macht, während er sich zurücklehnt und den Mentor spielt.«
    Er schnalzte mit der Zunge. »Er verdient nicht schlecht als Mentor, hm? Fünfhundert«, er schüttelte den Kopf, »saftiger Preis! Man setze ein paar schwerreiche Leute kräftig unter Druck und hat für den Rest des Lebens ausgesorgt.«
    Er machte einen Schritt, blieb stehen. »Glaubst du, daß diese Ursula etwas weiß, womit sie nicht rausrücken will?«
    »Was weiß?«
    »Daß sie etwas über diese Sache weiß. Wenn diese beiden Frauen einander so nahe sind, wie du andeutest, könnte Gina sie in ihre Pläne eingeweiht haben, daß sie abhauen will. Vielleicht hat die gute alte Ursula sogar gedacht: Das ist ja nicht schlecht für sie, therapeutisch betrachtet. Vielleicht hat sie

Weitere Kostenlose Bücher