SÄURE
bewahrt sie ihre Bankauszüge auf?«
»In der Bank. Es ist die First Fiduciary hier in San Labrador. Die Rechnungen gehen direkt dorthin, und die Bank bezahlt sie.«
Milo wandte sich an Melissa. »Wissen Sie irgendwelche Nummern?« Sie schüttelte den Kopf und sah ihn schuldbewußt an wie eine Studentin, die ihre Examensfrage nicht zu beantworten weiß. Milo kritzelte etwas. »Und die Nummer ihres Führerscheins?«
Schweigen.
»Kein Problem, die von der Polizei zu bekommen«, sagte Milo und schrieb immer noch. »Wenden wir uns der Personenbeschreibung zu - Größe, Gewicht, Geburtstag, Mädchenname.«
»Einssechsundsiebzig«, sagte Melissa, »ungefähr fünfundfünfzig Kilo. Ihr Geburtstag ist der dreiundzwanzigste März. Ihr Mädchenname ist Paddock, Regina Marie Paddock.« Sie buchstabierte es.
Milo fragte: »Geburtsjahr?«
»Neunzehnhundertsechsundvierzig.«
»Sozialversicherungsnummer?«
»Die weiß ich nicht.«
Ramp sagte: »Ich habe nie ihre Karte gesehen. Ich bin sicher, Glenn Anger kann Ihnen die Nummer sagen, weil sie auf ihrem Steuerbescheid steht.«
Milo fragte: »Sie hat keinerlei Papiere hier bei sich zu Hause?«
»Soweit ich weiß nicht.«
»Die Polizei von San Labrador hat Sie nicht nach diesen Dingen gefragt?«
»Nein«, sagte Ramp, »vielleicht dachten sie, sie bekämen die Informationen anderswo, von der Stadtverwaltung.«
Melissa nickte: »Genau.«
Milo legte seinen Stift hin. »Gut, fangen wir mit der Arbeit an.« Er griff nach dem Telefon.
Weder Melissa noch Ramp rührten sich vom Heck.
Milo sagte: »Bleiben Sie ruhig hier, wenn Sie möchten, aber wenn Sie schon müde sind, verspreche ich Ihnen, daß Sie hierbei einschlafen werden.«
Melissa runzelte die Augenbrauen und ging rasch hinaus.
Ramp sagte: »Ich überlasse Sie Ihren Pflichten« und drehte ebenfalls auf dem Absatz um.
Milo hob den Telefonhörer ab.
Ich ging los, um Melissa zu suchen, und fand sie in der Küche, wo sie in einen der Wandschränke blickte. Sie nahm eine Flasche Orangensoda heraus, drehte den Verschluß auf, nahm ein Glas aus einem Schrankfach und goß sich etwas ein. Nachlässig, so daß sich ein Teil der Flüssigkeit über die Tischplatte ergoß. Sie gab sich keine Mühe, es abzuwischen.
Sie hatte meine Gegenwart noch immer nicht bemerkt, setzte das Glas an die Lippen und schluckte so schnell, daß sie husten mußte. Prustend klopfte sie sich auf die Brust, erblickte mich und klopfte fester. Als der Krampf nachließ, sagte sie: »Oh, das war eine nette Vorstellung!« Mit etwas leiserer Stimme: »Kann ich etwas für Sie tun?«
Ich kam näher, riß ein Stück Papier von einer Küchenrolle und wischte die verschüttete Flüssigkeit auf.
Sie protestierte: »Lassen Sie mich das machen«, nahm das Papier und wischte Stellen, die schon trocken waren.
»Ich weiß, wie hart das für Sie gewesen ist«, sagte ich. »Vor zwei Tagen haben wir über Harvard geredet.«
»Harvard«, wiederholte sie, »das ist ja so verdammt wichtig.«
»Ich hoffe, wir kommen bald wieder darauf zu sprechen.«
»Ja, richtig, als ob ich jetzt jemals hier weg könnte.« Sie knüllte das Papier zusammen und warf es auf den Tisch. Hob den Kopf und sah mich an, gesprächsbereit.
Ich sagte: »Am Ende werden Sie das tun, was für Sie am besten ist.«
Ihre Augen flackerten unsicher, richteten sich auf die Sodaflasche. »Gott, ich habe Ihnen noch nicht mal etwas angeboten. Es tut mir leid.«
»Das ist schon gut, ich habe gerade eine Cola getrunken.«
Als hätte sie es nicht gehört, sagte sie: »Hier, nehmen Sie auch etwas.« Sie griff in den Schrank und nahm ein zweites Glas heraus. Als sie es auf den Tresen stellte, stieß sie mit dem Arm dagegen und das Glas rutschte über die glatte Fläche. Sie fing es auf, bevor es auf den Boden fiel, ließ es fallen und griff danach, fing es erneut auf. Sie starrte es an, keuchte und sagte: »Verdammt« und lief hinaus.
Ich folgte ihr wieder, suchte im ganzen Erdgeschoß nach ihr, konnte sie aber nirgends finden. Ich ging die grüne Marmortreppe hinauf und zu ihrem Zimmer, die Tür war offen. Ich sah hinein, erblickte aber niemanden, rief ihren Namen, bekam keine Antwort. Als ich eintrat, war mir, als kämen Erinnerungen, obwohl ich ihr Zimmer noch nie betreten hatte.
Die Decke schmückte ein Gemälde: Kurtisanen, die sich an einem Ort verlustierten, der Versailles sein konnte. Die Wände schmückte eine Tapete mit rosa Lämmchen und grauen Kätzchen, an den Fenstern hingen Spitzengardinen,
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