SÄURE
werden.« Er zeigte uns die vier quadratisch um den Türknopf herum angeordneten Schlüssellöcher. Dann zog er einen Bund mit einer Unmenge Schlüsseln heraus. Er ging schnell vor und mit großem Geschick. Ich stellte ihn mir als den professionellen Safeknacker vor.
Ich betrachtete ihn aufmerksam. Sein Alter lag irgendwo zwischen fünfundvierzig und fünfundfünfzig. Sollte er im Schlaf gestört worden sein, so hatte er sich jedenfalls gut wiederhergestellt. Bevor er den vierten Schlüssel hineinsteckte, hielt er kurz ein und betrachtete die verlassene Straße in beiden Richtungen.
Milos Blick war ausdruckslos.
Anger drehte den Schlüssel herum und öffnete die Tür einen Zentimeter weit. »Ich mache mir wegen Mrs. Ramp große Sorgen. Nach dem, wie Melissa sich ausdrückte, ist es ziemlich ernst.«
Milo nickte gleichmütig.
Anger fragte: »Was suchen Sie eigentlich genau?« Dann sah er mich an.
Milo stellte mich vor: »Das ist Alex Delaware«, als ob das eine Art Antwort auf seine Frage wäre. »Zuerst können Sie mir die Nummern ihrer Kreditkarten und Konten geben. Zweitens können Sie mich über ihre allgemeine finanzielle Situation unterrichten.«
»Sie unterrichten«, wiederholte Anger, die Hand noch immer auf dem Türknauf.
»Ein paar Fragen beantworten.«
Anger bewegte die Kinnlade vor und zurück. Er streckte den Arm um den Türpfosten herum und knipste einige Lampen an. In der Bank fiel poliertes Kirschholz, ein königsblauer Teppich, Messing und die Decke mit dem Relief eines kahlköpfigen Adlers in die Augen. Der Raum roch nach Zitronenbohnerwachs und Ammoniak und Geld, das so alt war, daß es zu schimmeln angefangen hatte. Inmitten dieser Leere kam ich mir wie ein Einbrecher vor.
Anger deutete geradeaus und führte uns in ein Zimmer am hinteren Ende, an dessen Tür W. Glenn Anger, Vorsitzender und Präsident oberhalb des Amtssiegels stand. Anger öffnete die mit zwei Schlössern gesicherte Türe: »Kommen Sie herein!«
Sein Büro war klein und kühl und roch wie ein neues Auto. Es war mit einem flachen Schreibtisch ausgestattet, zwei braunen Tweedsesseln und einem niedrigen quadratischen Tisch. An den Wänden: Familienphotos, zwei Diplome der Stanford University, eine Sammlung von Drucken von Norman Rockwell, eine gerahmte Kopie der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Nordamerika sowie ein bis zur Decke reichendes Regal mit Sporttrophäen - Golf, Squash, Schwimmen, Baseball, Leichtathletik; Auszeichnungen, die zwanzig Jahre zurückreichten und auf Warren Glenn Anger ausgestellt waren, und solche aus neuerer Zeit, die die Namen von Warren Glenn Anger junior und Eric James Anger trugen. Ich fragte mich, welche beiden Jungen keine Goldmedaillen mit nach Hause gebracht hatten.
Anger nahm hinter seinem Schreibtisch Platz, schüttelte die Manschettenknöpfe und warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
Milo und ich setzten uns in die Tweedsessel. Ich betrachtete die in Leder gebundenen Bücher auf dem Tisch, es waren Adreßbücher der Mitglieder dreier Privatklubs, die sich noch immer mit der Stadtverwaltung wegen der Zulassung von Frauen und Minderheiten herumstritten.
»Sie sind ein Privatdetektiv?«
»Das ist richtig.«
»Hinter was für Informationen sind Sie her?«
Milo nahm seinen Notizblock heraus. »Erst mal Mrs. Ramps Nettowert, wie ihr Vermögen angelegt ist, irgendwelche bedeutenden Entnahmen in letzter Zeit?«
Angers Brauen senkten sich in der Mitte. »Weshalb genau brauchen Sie das alles, Mr. Sturgis?«
»Ich bin beauftragt, nach Mrs. Ramp sozusagen zu jagen. Ein guter Jäger muß sein Wild kennen.«
Anger runzelte die Stirn.
Milo erklärte: »Ihr Umgang mit ihren Bankkonten könnte mir etwas über ihre Absichten verraten.«
»Absichten inwiefern?«
»Ungewöhnlich große Entnahmen könnten darauf hindeuten, daß sie eine Reise plante.«
Anger nickte mehrmals kurz. »Ich verstehe, nun, das war nicht der Fall. Und ihr Nettowert? Was würden Sie damit anfangen wollen?«
»Ich muß wissen, um welche Summen es geht.«
»Inwiefern geht?«
»Wie lange sie fortbleiben kann, wenn sie absichtlich verschwunden ist.«
»Wollen Sie damit sagen…«
»Wer sie beerbt, im anderen Fall.«
Angers Kinnlade bewegte sich vor und zurück. »Das klingt unheilvoll.«
»Nicht wirklich, ich muß nur meine Parameter definieren.«
»Ich verstehe, und was ist Ihrer Meinung nach mit ihr geschehen, Mr. Sturgis?«
»Ich habe nicht genügend Informationen, um irgend etwas zu
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