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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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gelbliche Lederhaut rund um die fast schwarze Iris. Ich fragte mich, wann er das letztemal einen Leberfunktionstest hatte machen lassen.
    »Wir sind hier, um über Gina Ramp zu reden, Joel.«
    »Man hat sie noch nicht gefunden«, seine Feststellung.
    »Nein, hat man nicht. Wollen Sie uns irgendwelche Theorien mitteilen darüber, was ihr passiert sein könnte?«
    McCloskeys Augen bewegten sich zu einem der Tische hin. Ein paar der Männer hatten aufgehört zu essen. Andere warfen begehrliche Blicke auf die noch unberührte Nahrung.
    »Könnten wir auf mein Zimmer gehen?«
    »Sicher, Joel.«
    Er schlurfte aus der Tür und bog rechts in den Korridor. Wir kamen an Schlafsälen vorbei, die brechend voll mit Klappbetten waren, auf denen teilweise Männer lagen, vorbei an einer geschlossenen Tür mit der Aufschrift Krankensaal. Schmerzgestöhn drang durch Sperrholzwände, und im Korridor hallte es echoartig nach. McCloskey wandte sich im Vorübergehen kurz den Geräuschen zu, verlangsamte aber seine Gangart nicht. Wieder den Blick vorwärts gerichtet, schlurfte er auf die braungestrichene Treppe am Ende des Korridors zu. Die Stufen waren mit Hartgummibahnen belegt, und das Geländer fühlte sich schmierig an.
    Wir folgten seinem steten, langsamen Aufstieg drei Treppen hoch. Hier siegte der Geruch des Desinfektionsmittels.
    Gleich neben dem Treppenabsatz des dritten Stocks entdeckte ich wieder eine geschlossene Tür, an der mit Klebeband ein Pappschild befestigt war. Joel stand mit schwarzem Marker darauf geschrieben. Ein Schlüsselloch war unter dem Türknopf, aber er drehte ihn nur, und die Tür ging auf. Er hielt sie und wartete, bis wir hereinkamen.
    Das Zimmer war halb so groß wie Gina Ramps Wandschrank, nicht größer als zweieinhalb mal anderthalb Meter, mit einer Koje, auf der eine graue Wolldecke lag, einem hölzernen Nachttisch und einer schmalen Kommode. Eine Bibel lag auf der Kommode, zusammen mit einer Kochplatte, einem Dosenöffner, einem in Zellophan gehüllten Cracker und Erdnußbutter-Paket, einem halbleeren Glas roter Beete und einer Dose mit Wiener Würstchen. Ein mit einem Heiligenschein umgebener Jesus blickte von einem Kalender wohlwollend auf die Koje herab. Ein vergilbtes, von Fliegendreck geflecktes Rouleau war über ein schmales, vergittertes Fenster bis zur Hälfte heruntergezogen. Hinter dem Gitter erblickte man eine graue Ziegelwand. Licht kam von einer nackten Glühbirne, die in der Mitte einer von Schimmelflecken bedeckten Zimmerdecke hing.
    Kaum genug Platz zum Stehen. Ich hätte mich gern an etwas festgehalten, wollte aber nichts berühren.
    McCloskey sagte: »Setzen Sie sich, wenn Sie möchten.«
    Milo sah auf die Koje und sagte: »Schon gut.«
    Wir drei bleiben stehen. Nahe beieinander, aber Meilen voneinander entfernt. Wie Fahrgäste in der Untergrundbahn, die sich an Gurten festhalten und entschlossen sind, sich zu isolieren.
    Milo begann von neuem: »Irgendwelche Theorien, Joel?«
    McCloskey schüttelte den Kopf. »Ich habe darüber nachgedacht, eine Menge, seit die anderen Polizisten hier waren. Ich hoffe, es ist dies geschehen: Sie hat sich so weit erholt, daß sie allein weggehen konnte und…«
    »Und was?«
    »Und Freude daran gehabt.«
    »Sie möchten das Beste für sie, ja?«
    Nicken.
    »Jetzt, da Sie ein freier Mann sind und der Staat Ihnen nicht mehr sagen kann, was Sie tun sollen.«
    Ein schwaches Lächeln formte sich auf McCloskeys bleichen Lippen. Seine Mundwinkel waren mit etwas Weißem, Flockigem verkrustet.
    »Gibt’s was Lustiges, Joel?«
    »Freiheit, das ist lange her.«
    »Für Gina auch.«
    McCloskey schloß die Augen, öffnete sie, ließ sich schwer auf die Koje nieder, nahm das Haarnetz ab und ließ seinen Kopf in einer Hand ruhen. Der Scheitel seines Kopfes war kahl, das Haar im Umkreis weiß und grau, kurzgeschnitten und stachlig. Es hätte an einem achtzehnjährigen Novizen der Abtei von Melrose vielleicht modisch ausgesehen. An einem alten Mann sah es genau wie das aus, was es war: ein Do-it-yourself-Job. Es war ein alter Mann, dreiundfünfzig, er sah wie siebzig aus.
    »Was ich will, spielt keine Rolle«, sagte er.
    »Nicht wenn Sie immer noch hinter ihr her sind, Joel.«
    Die gelbsüchtigen Augen schlossen sich wieder, sein Halslappen zitterte. »Ich war’s nicht - nein, ich bin’s nicht.«
    »Was nicht?«
    McCloskey hielt das Haarnetz in beiden Händen, seine Finger bohrten sich durch die Maschen, streckten sie. »Hinter ihr her!« Weniger als ein

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