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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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weiterjagte. Zwei uniformierte Polypen, die gerade einer jungen Mexikanerin einen Strafzettel ausstellten, sahen nur kurz auf.
    Einen halben Block weiter sah ich zwei magere Schwarze mit Baseballmützen und Mänteln einander gegenübertreten, sie neigten ihre Köpfe und brachten ihre Händeklatschroutine so perfekt, daß es sich um eine Choreographie von Balanchine hätte handeln können. Dann zückte der eine einen dünnen Packen Geld, der andere bückte sich blitzschnell und zog etwas aus seiner Socke - ein rascher Tausch, und schon zockten die beiden Männer wieder in entgegengesetzte Richtungen los. Die ganze Transaktion hatte zehn Sekunden gedauert.
    Milo sah mich, wie ich sie beobachtete. »Ah, freies Unternehmertum. Das ist es - parke irgendwo, wo du kannst!« Er deutete auf ein breites, dreistöckiges Gebäude mit flachem Dach an der Ostseite der Straße. Das Erdgeschoß war von grauweißen Kacheln bedeckt, die an die Toiletten eines Busbahnhofs erinnerten, eine Reihe hochgelegener, vergitterter Fenster verlief vom einen Ende des Gebäudes zum anderen. Vier oder fünf Männer, die meisten Schwarze, alle zerlumpt, lungerten schläfrig nahe der Eingangstür herum, über der ein totes Neonzeichen im Decostil Eternal Hope Mission verkündete.
    Alle Parkplätze vor dem Gebäude waren besetzt, also fuhr ich etwas weiter und hielt mit der Nase des Seville unmittelbar hinter einem Winnebago, auf dessen Heck die Worte Mobile Medical zu lesen waren. Wieder eine Gruppe verwahrloster Figuren. Als ich die Zündung ausschaltete, sah ich, daß sie nicht auf den Gesundheitsdienst warteten. Eine lockere Schlange hatte sich vor einem Laden mit einem Ziehharmonikagitter gebildet, ein weiteres Neonzeichen mit zuckendem Licht: $$ für Plasma.
    Milo zog eine große Karte aus der Tasche, entfaltete sie und steckte sie unter die Windschutzscheibe des Seville. Sie hatte die Aufschrift: Los Angeles Police Department Vehicle: Im Dienst. »Vergiß nicht zuzuschließen«, sagte er und knallte seine Tür zu.
    »Nächstesmal nehmen wir deinen«, sagte ich mit Seitenblick auf einen kahlköpfigen Mann, der mit einer Augenbinde ein wütendes Gespräch mit einer toten Ulme führte. »Du hast das gemacht!« schimpfte der Mann immer wieder und schlug auf den Baum bei jeder dritten oder vierten Äußerung ein. Seine Handflächen waren blutig, aber auf seinem Gesicht war ein Lächeln.
    »Kommt nicht in Frage, meinen würden sie auffressen«, sagte Milo. »Komm!«
    Die Männer, die vor der Mission herumhingen, traten sofort beiseite, ihre Schatten und ihr Gestank blieben haften. Einige betrachteten gierig meine Schuhe, braune Mokassins, die ich vor einem Monat gekauft hatte und die noch wie neu aussahen. Ich überlegte noch, wie weit man in dieser Gegend mit $ 120.000 kommen würde.
    Das Innere war heiß und blendend hell erleuchtet. Der vordere Saal war voller Menschen - ein Gemisch von Körpergerüchen, Desinfektionsmittel, galligem Gestank von Erbrochenem. Ein junger Mann ging mit einer Schreibtafel zwischen den Männern herum, sah von Zeit zu Zeit auf seine Tafel, blieb stehen und beugte sich vor, um mit jemandem zu reden. Hin und wieder händigte er ein Blatt aus, gelegentlich erhielt er eine Antwort. Ein Namensschild über dem aufgestickten Tiger an seiner Brust besagte: Gilbert Johnson, Student Volunteer.
    Ich mußte an einen Bahnhof voll Reisender denken, die den Weg aus den Augen verloren hatten. Milo weckte die Aufmerksamkeit des jungen Schwarzen. Er runzelte die Augenbrauen und kam herüber.
    »Kann ich helfen?« Auf seine Schreibtafel geklemmt war eine Liste mit Namen, hinter einigen von ihnen waren Haken.
    »Ich suche Joel McCloskey.«
    Johnson seufzte. Er war Anfang zwanzig, hatte ein breites Gesicht, asiatische Augen, und seine Haut war nicht viel dunkler als Glenn Angers Sonnenbräune.
    »Schon wieder?«
    »Ist er hier?«
    »Sie müssen erst mit Pater Tim sprechen, eine Sekunde.« Er verschwand in einem Gang und kam unverzüglich mit einem mageren Mann Anfang dreißig zurück, der ein schwarzes Hemd, einen Klerikerkragen und weiße Jeans über schwarzweißen Hightop-Basketballschuhen trug.
    »Tim Andrus«, stellte sich der Priester mit einer sanften Stimme vor. »Ich dachte, mit Joel wäre alles geklärt.«
    »Nur ein paar Fragen«, sagte Milo.
    Andrus wandte sich an Johnson: »Fang wieder mit dem Bettenzählen an, Gilbert. Es wird heute nacht eng, wir müssen es ganz genau wissen.«
    »Sicher, Pater.« Johnson warf Milo und mir

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