SÄURE
Flüstern.
»Wollten Sie sagen, Sie wären nie hinter ihr her gewesen?«
»Nein, ich…« McCloskey kratzte sich den Kopf, schüttelte ihn dann, »es ist lange her.«
»Sicher«, sagte Milo, »aber die Geschichte hat so eine Art, sich zu wiederholen.«
»Nein«, sagte McCloskey, sehr ruhig, aber mit Nachdruck. »Nein, nie. Mein Leben ist…«
»Was?«
»Vorbei. Alles ist aus!«
»Was ist aus, Joel?«
McCloskey legte eine Hand auf seine Eingeweide. »Das Feuer, die Gefühle«, die Hand fiel herunter, »alles, was ich tue, ist warten.«
»Warten worauf, Joel?«
»Frieden, Leere.« Ein ängstlicher Blick zu Milo, dann hinüber zum Jesusbild.
»Sie sind ein ziemlich religiöser Mensch, Joel?«
»Es… hilft.«
»Hilft wobei?«
»Beim Warten.«
Milo beugte die Knie, legte die Hände darauf und senkte den Kopf, bis er fast mit dem von McCloskey auf einer Höhe war.
»Warum haben Sie sie verbrannt, Joel?«
McCloskeys Hände fingen an zu zittern. Er sagte: »Nein«, dann bekreuzigte er sich.
»Warum, Joel? Was hat sie getan, daß Sie sie so sehr gehaßt haben?«
»Nein.«
»Kommen Sie, Joel. Was würde es schaden, wenn Sie es nach all den Jahren sagen?«
Kopf schütteln. »Ich - es ist nicht…«
»Was nicht?«
»Nein, ich… habe gesündigt.«
»Beichten Sie Ihre Sünde, Joel.«
»Nein… bitte.« Tränen, noch mehr Zittern.
»Ist die Beichte nicht ein Teil der Erlösung, Joel? Die volle Beichte?«
McCloskey leckte sich die Lippen, legte die Hände zusammen und murmelte etwas.
Milo beugte sich über ihn. »Was ist, Joel?«
»Habe gebeichtet.«
»Haben Sie das?«
Nicken.
McCloskey schwang die Beine aufs Bett und legte sich auf den Rücken hin. Die Arme über der Brust verschränkt, starrte er zur Decke empor, seinen Mund geöffnet. Seine Hose unter der Schürze war aus uraltem Tweed, gedacht für einen Mann, der dreißig Pfund schwerer und fünf Zentimeter größer war als er. Die Umschläge waren ausgefranst und die Säume steif vor schwarzem, zähem Schmutz.
Ich warf ein: »Für Sie mag alles der Vergangenheit angehören. Aber ihr würde es helfen, das Ganze zu verstehen, und ihrer Tochter auch. Nach all den Jahren versucht die Familie es immer noch zu verstehen.«
McCloskey starrte mich an. Seine Augen wanderten hin und her, als ob sie einen Straßenverkehr verfolgten. Seine Lippen bewegten sich, tonlos.
Nachdenken. Einen Augenblick lang dachte ich, er würde sich jetzt öffnen. Dann schüttelte er wild den Kopf, setzte sich auf, band die Schürze los und zog sie über den Kopf. Sein Hemd bauschte sich auf. Er knöpfte die drei oberen Knöpfe auf, zog den Hemdstoff auseinander und zeigte seine unbehaarte Brust.
Sie war unbehaart, aber nicht ungezeichnet: Ein Fleck aus hellrotem, runzligem Fleisch, zweimal so groß wie eine Hand, bedeckte den größten Teil seiner linken Brust. Die Brustwarze fehlte, an ihrer Stelle befand sich eine glänzende, dick geronnene Vertiefung. Narbenlinien flossen von dem Hauptfleck wie rosige Farbe aus und endeten in der Mitte seines Brustkorbs. Er zog das Hemd weiter auseinander und streckte das verstümmelte Gewebe vorwärts. Ein Herzschlag pochte in der entstellten Mulde, sehr schnell. Sein Gesicht war weiß, verzerrt, von Schweiß wie mit einem Ölfilm bedeckt.
»Hat Ihnen das jemand in Quentin angetan?« fragte Milo.
McCloskey lächelte und sah wieder Jesus an. Ein stolzes Lächeln.
»Ich wollte ihren Schmerz wegnehmen und essen«, sagte er, »verschlucken und in mich aufnehmen, den ganzen, alles.« Er legte eine Hand auf die Brust, kreuzte den anderen Arm darüber. »Lieber Gott«, fuhr er fort, »das Sakrament des Schmerzes.« Dann fing er an, etwas zu murmeln, das wie Latein klang.
Milo sah auf ihn hinab.
McCloskey betete weiter.
»Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Joel«, sagte Milo. Als McCloskey nicht antwortete, sagte er: »Ein angenehmes Warten wünsche ich.«
Keine Unterbrechung der Benediktionen des weißhaarigen Mannes.
»Von dieser Selbstkasteiung mal ganz abgesehen, Joel, wenn Sie uns was verschweigen, das uns helfen könnte, sie zu finden, ist Ihre ganze Erlösung keinen Dreck wert!«
McCloskey blickte auf - nur für eine Sekunde - die gelben Augen füllten sich mit Entsetzen: die Panik eines Mannes, der alles auf ein Geschäft gesetzt hat, das völlig schiefgegangen ist. Dann fiel er auf die Knie, so hart, daß es schmerzte, und nahm seine Gebete wieder auf.
Als wir wegfuhren, fragte mich Milo: »Also, wie lautet die
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