SÄURE
menschliches Wesen erweitert. Die, bei denen er gearbeitet hat, hatten nur Gutes über ihn zu sagen.«
Milo schwieg.
Der Priester lächelte. »Und, ja, das hat ihm geholfen, Bewährung zu erhalten. Aber er ist hierher als freier Mann gekommen, Officer, im Sinne des Gesetzes. Er arbeitet hier, weil er es so wünscht, nicht weil er es muß. Und in Beantwortung Ihrer Frage nach Freunden, er hat keine, er bleibt allein, versagt sich alle weltlichen Vergnügungen. Ein sehr harter Arbeitszyklus und das Gebet stellen sein ganzes Leben dar.«
»Klingt verflixt heilig«, kommentierte Milo.
Zorn spannte das Gesicht des Priester. Er kämpfte um seine Beherrschung, und es gelang ihm, einen ruhigen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Aber seine Stimme war gepreßt: »Er hat nichts zu tun mit dem Verschwinden der armen Frau. Ich verstehe wirklich nicht, weshalb es nötig ist zu -«
»Diese arme Frau hat einen Namen«, sagte Milo, »Gina Marie Ramp.«
»Ich weiß, aber -«
»Sie ist auch allein geblieben, Pater, von weltlichen Vergnügungen abgeschnitten. Aber in ihrem Fall war es nicht freiwillig. Zwanzig Jahre lang, seit dem Tag, an dem McCloskeys angeheuerter Scheißkerl ihr Gesicht zerstört hat, hat sie in einem einzigen Zimmer gelebt, hat sich vor Angst nicht mehr in die Welt hinaus getraut. Keine Bewährung für sie, Pater! Sie verstehen sicher, daß viele Leute wegen der Tatsache ihres Verschwindens beunruhigt sind. Und ich hoffe, Sie finden ein Verzeihen in Ihrem Herzen, wenn ich jetzt der Sache auf den Grund zu gehen versuche. Auch wenn ich Mr. McCloskey ungelegen komme!«
Andrus beugte den Kopf und faltete die Hände vor der Brust. Einen Augenblick lang dachte ich, er bete. Aber er sah auf und seine Lippen waren still. Die ganze Farbe aus seinem Gesicht war verschwunden.
»Vergeben Sie mir, Officer. Es war eine harte Woche, zwei Männer sind in ihren Betten gestorben, zwei weitere wurden mit dem Verdacht auf Tuberkulose ins City General Hospital geschickt.« Er deutete mit dem Kopf auf die Männer auf den Stühlen. »Wir haben hundert Köpfe mehr als Betten, kein Nachlassen in Sicht, und die Erzdiözese möchte, daß ich einen größeren Anteil aus eigenen Mitteln bestreite.« Seine Schultern sackten herab. »Man sucht kleine Siege. Ich habe mir Joel als einen solchen vorzustellen versucht.«
»Vielleicht ist er einer«, sagte Milo, »aber wir würden immer noch gern mit ihm sprechen.«
Der Priester zuckte die Schultern. »Kommen Sie, ich bringe Sie zu ihm.«
Er hatte gar keinen Ausweis zu sehen verlangt, wußte nicht mal, wie wir hießen.
Die erste Tür in der Halle führte zu einem riesigen Speisesaal, wo die Essensgerüche schließlich den Gestank ungewaschener Leiber überlagerten. Picknicktische aus Holz bedeckt mit blauem Wachstuch waren aneinandergestellt und bildeten fünf lange Reihen. Männer saßen vornübergebeugt beim Essen, den einen Arm schützend um ihren Teller gelegt. Gefängnisessen - Löffeln und Kauen ohne Pause mit der ganzen Freude ähnlich aufgezogener Spielzeugfiguren. Weitere Männer standen in einer Schlange vor der Essensausgabe und hielten ihre Teller hin. Drei in weiße Hemden und Kittel gekleidete Gestalten, Haarnetze auf dem Kopf, teilten mit der Kelle das Essen aus.
Pater Andrus sagte: »Warten Sie hier, bitte«, und wir standen an der Tür, als er hinter die gläserne Trennscheibe zur Essensausgabe ging und etwas zu dem mittleren Essensausgeber sagte. Immer noch arbeitend, nickte der Mann, reichte seine Kelle dem Priester und trat zurück. Pater Andrus fing an, Essen auszuteilen. Der Mann in Weiß wischte sich die Hände an der Schürze ab und kam auf uns zu.
Er war ungefähr einen Meter siebenundsechzig groß und hatte einen krummen Rücken, der ihn noch etwas kleiner machte. Die Schürze reichte ihm bis über die Knie und war mit Essen bekleckert. Er schlurfte, hob die Füße kaum vom Linoleum, und seine Arme hafteten an seinen Seiten, als wären sie dort angeklebt. Strähnen weißen Haars hingen ihm unter dem Haarnetz hervor und klebten auf der gelblichen, feuchten Stirn. Das Gesicht darunter war lang und fahl, seine Augen lagen tief, unter herabhängenden Lidern, waren dunkel, sehr müde. Er grüßte uns mit einer tonlosen, trägen Stimme: »Hallo.«
»Mr. McCloskey?«
Nicken. »Ich bin Joel.« Teilnahmslos. Offene Poren auf der Nase und den Wangen, tiefe Falten um einen heruntergezogenen Mund mit trockenen Lippen. Die Augen unter den schweren Lidern fast geschlossen,
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