SÄURE
dazu neige, und ich kämpfe dagegen an.«
»Ich hab’ dich nie für wehleidig gehalten.« Sie lächelte. »Was ist?« fragte ich.
»Dennis - er hat mich immer als wehleidig hingestellt.«
»Dann zum Teufel mit dem Hundesohn!«
»Er ist einfach nicht gegangen, ich habe ihn rausgeschmissen.«
Ich sagte nichts.
»Ich war schwanger und hab’ abgetrieben. Ich habe eine Woche lang überlegt, was ich tun sollte. Als ich ihm meinen Entschluß mitteilte, war er sofort einverstanden. Er bot mir an, es zu bezahlen. Da wurde ich wütend, weil es ihm gar nichts ausgemacht hat, weil es für ihn so leicht war. Deshalb habe ich ihn rausgeschmissen.«
Plötzlich war sie ausgestiegen, ging nach vorn und stand am Kühlergrill. Ich stieg ebenfalls aus und stellte mich neben sie.
»Als ich es merkte«, unterbrach sie schließlich die Stille, »hatte ich so ein seltsames Gefühl; mir ekelte vor mir selbst, daß ich so unvorsichtig war, glücklich, daß ich - biologisch - in der Lage dazu war. Aber ich hatte Angst.«
Ich blieb stumm, mit meinen eigenen Gefühlen beschäftigt, fühlte Zorn - all die Jahre, die wir zusammen gewesen waren, wie vorsichtig wir uns verhalten hatten. Trauer - »Du haßt mich«, sagte sie.
»Natürlich nicht.«
»Ich werfe es dir nicht vor.«
»Robin, es passiert nun mal.«
»Anderen Leuten«, sagte sie.
Sie betrat das Kliff. Ich legte beide Arme um ihre Taille, spürte Widerstand und ließ los.
»Die Prozedur selbst war gar nicht schlimm. Meine Gynäkologin hat es in ihrer Praxis gemacht. Sie sagte, wir hätten es im frühen Stadium erwischt - als ob es eine Krankheit wäre -, Vakuumpumpe und eine Bestätigung für die Versicherung, daß es eine Routinediagnose und - abtreibung war. Später bekam ich Krämpfe, aber nichts Schreckliches, die alte Castagna-Schmerzgrenze, ein paar Tage Aspirin eingenommen, dann Cold Turkey.« Sie war in eine tonlose Stimme übergewechselt, die mich nervte.
Ich bemerkte: »Die Hauptsache ist, daß du in Ordnung bist«, wobei ich mir vorkam, als läse ich von einem Script ab. Melodrama am Liebesberg - in welchem Film hatte ich das schon einmal gesehen?«
»Danach«, sagte sie, »wurde ich paranoid. Was wenn die Pumpe mich da drin beschädigt hatte und ich nie wieder empfangen könnte? Was wenn Gott mich bestrafte, weil ich getötet hatte, was in mir war?« Sie ging mehrere Schritte beiseite. »Alle reden so abstrakt darüber«, fuhr sie fort. »Die Paranoia dauerte einen Monat. Ich bekam einen Ausschlag, war überzeugt, daß es Krebs war. Die Ärztin beruhigte mich, ich wäre in Ordnung, und ich glaubte ihr. Ein paar Tage lang fühlte ich mich besser, dann kehrten die Gefühle zurück. Ich kämpfte dagegen an und gewann mit der Überzeugung, daß ich weiterleben würde. Dann heulte ich ohne Unterlaß noch einen Monat lang. Ich fragte mich, was hätte sein können… Schließlich hörte das auch auf. Aber etwas von der Traurigkeit blieb im Hintergrund. Sie ist immer noch da. Manchmal, wenn ich lächele, habe ich das Gefühl, als ob ich in Wirklichkeit weine. Es ist wie ein Loch hier drin«, sie tippte sich mit dem Finger auf den Bauch, »genau hier.«
Ich nahm sie bei den Schultern, und es gelang mir, sie herumzudrehen. Drückte ihr Gesicht in mein Jackett.
»Mit ihm, verdammt«, kam es gedämpft von dem Stoff. Dann wich sie zurück und zwang sich, mich anzusehen. »Er war ›Fast Food‹, nur um die Leere auszufüllen. Irgendwie pervers, daß es mit ihm passieren mußte, hm? Wie einer von diesen furchtbaren Witzen, die sie heute abend erzählt haben.«
Ihre Augen waren trocken, meine fingen an mir weh zu tun.
»Manchmal, Alex, liege ich nachts wach, und ich denke über alles nach. Es ist, als ob ich dazu verurteilt bin, ständig über alles nachzudenken.«
Wir standen da und starrten einander an, eine Autokarawane zoomte vorbei.
»Ein nettes Date, hm?« sagte sie. »Heul, heul, heul!«
»Hör auf«, sagte ich, »ich bin froh, daß du es mir gesagt hast.«
»Bist du?«
»Ja - ich - Ja, ich bin es.«
»Wenn du mich haßt, versteh’ ich das.«
»Warum sollte ich dich hassen?« fragte ich plötzlich wütend. »Ich habe kein Recht auf dich. Es hatte nichts mit mir zu tun.«
»Stimmt«, sagte sie.
Ich ließ ihre Schultern los, warf die Arme hoch und ließ sie fallen.
»Ich hätte den Mund halten sollen«, sagte sie.
»Nein«, sagte ich, »es ist in Ordnung, - nein, das ist es nicht. Nicht im Augenblick! Ich fühle mich mies, vor allem wegen dem, was du
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